taz.de -- O-Platz-Flüchtlinge und Weihnachten: Tofubraten mit Asylsuchenden

Bewohner des Flüchtlingscamps auf dem Oranienplatz sind an Weihnachten in WGs zu Gast. Andere bleiben in den Zelten und suchen vor allem eines: Ruhe.
Bild: Händewärmen im Flüchtlingscamp auf dem O-Platz

Ein Ort des Ausnahmezustands ist der Kreuzberger Oranienplatz, seit Flüchtlinge ihn vor 15 Monaten besetzten – was für ein Weihnachtsfest als solches nicht die schlechteste Voraussetzung ist. Gemütlicher allerdings ist es für die sich mit immer neuen Räumungsultimaten plagende, fluktuierende Bewohnerschaft in letzter Zeit nicht geworden.

Im vorigen – wesentlich kälteren – Dezember war es gelungen, etwas feierliche Stimmung in das Zeltlager zu bringen. An den Adventswochenenden rückten Unterstützer mit Schokobrunnen, Technosoundsystem und Glühwein an. Jeweils kurz darauf kam auch die Polizei – vorgeblich, weil Nachbarn ihre Bemühungen um Besinnlichkeit durch die Bässe am Sonntagnachmittag gestört sahen.

Ernsthaft eskaliert sind die Lärmscharmützel jedoch nie. Auch nicht am 24. Dezember. Da gab es abends tatsächlich eine kleine Feier im Zirkuszelt, mit Essen, Musik und Geschenken. Dieses Jahr dürfte der Heilige Abend anders laufen. Die Adventszeit war für die Flüchtlinge vor allem eine Art Demonstrationsmarathon. Allein in der letzten Woche vor Weihnachten gingen sie dreimal auf die Straße.

Was danach kommt? Darüber haben wir uns noch keine Gedanken gemacht, sagen die Flüchtlinge. Aber auf etwas Ruhe, heißt es, können sich wohl alle einigen. Auch dies wäre eine Ausnahme. Denn außer Entspannung fehlte auf dem Oranienplatz zuletzt vor allem Einigkeit.

Manche wollen die Ruhe in dem Camp suchen, andere einer der vielen Einladungen in die Häuser von Unterstützern folgen. So werden manche bei Tofubraten in linken WGs sitzen und andere sich zu Familienfesten gesellen. Der Rest wird es sich in den Zelten oder der ebenfalls von Flüchtlingen besetzten Schule ein paar Straßen weiter gemütlich zu machen versuchen.

Die verbliebenen Bewohner des Camps sind gut zur Hälfte Muslime, manche Christen, allerlei Atheisten. Gleichwohl gibt es einen religiösen Flügel, der entweder „auf dem Platz beten“ oder eine Messe besuchen will. Bislang ist allerdings keine Kirchengemeinde der Versuchung erlegen, die zu gewisser Lokalprominenz gelangten Asylsuchenden PR-trächtig in ihre Gottesdienste einzuladen. Es soll vor allem – ruhig bleiben.

Der Autor, 34, Redakteur im Ressort taz1, verbringt Weihnachten bei seinen Eltern, in Niedersachsen auf dem Land. Demos gab es dort in diesem Jahrtausend bislang keine. Das macht aber nichts.

24 Dec 2013

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Christian Jakob

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