taz.de -- Kommentar Angriff auf Polizisten: Ende der Debatte

In Hamburg müssten die Strategiefehler der Polizei dringend diskutiert werden. Nach dem Angriff auf einen Beamten passiert das nun nicht mehr.
Bild: Legale Demo verhindert: Polizei stoppt Protestierende vor der Roten Flora in Hamburg.

Steht Hamburg am Rand eines Bürgerkriegs? Den Eindruck konnte man in der vergangenen Woche gewinnen.

Was ist passiert? Am Wochenende vor Weihnachten ist eine Großdemonstration für den Erhalt des Autonomen Zentrums Rote Flora im Schanzenviertel aus dem Ruder gelaufen, bevor sie richtig angefangen hatte. Die Polizei, die bereits die ursprünglich angemeldete Route untersagt hatte, änderte diese kurz vor Beginn erneut – und wunderte sich dann derart darüber, dass die Demonstration trotzdem planmäßig begann, dass sie sich ihr vehement entgegenstellte.

Ein Angriff auf das Demonstrationsrecht, der bei den Tausenden unmittelbar Betroffenen zu dem Eindruck führen kann, dies Grundrecht müsse zur Not auch mit körperlichem Einsatz erstritten werden. Das gilt in Hamburg ebenso wie in Kiew oder Istanbul. Dass dazu nicht gehört, aus den hinteren Reihen mit Steinen und bengalischen Feuern in Richtung der Polizisten zu werfen – darüber sind sich auch die meisten Autonomen schon lange einig.

Sowohl vor als auch nach der Demonstration kam es zu Angriffen auf die Polizeiwache Davidstraße im Stadtteil St. Pauli. Wäre dabei nicht ein Polizist schwer verletzt worden, könnte man sagen: Gewalt gegen Sachen, auch nichts Neues. Schon 2009 hatte es nach dem alljährlichen, unangemeldeten Schanzenfest einen Angriff auf die Fassade der nahe gelegenen Polizeiwache Lerchenstraße gegeben, deren Belegschaft lange in dem Ruf besonderer Brutalität und rassistischer Vorgehensweisen gestanden hatte. Seinerzeit hatten die Rotfloristen zugeben müssen, dass nach dem Fest wohl Vorstadt-Jugendliche ihr Mütchen gekühlt hätten, gleichwohl aber versucht, dem revolutionären Potenzial in ihnen nachzuspüren.

Aber ausgerechnet die Davidwache! Mal abgesehen von dem Maß an Menschenverachtung, das es braucht, um einem zufällig des Wegs kommenden Streifenpolizisten unvermittelt einen Pflasterstein ins Gesicht zu schleudern – wie bescheuert muss man sein, um die Davidwache anzugreifen? Das pittoreske Revier an der Reeperbahn ist fester Bestandteil der Hamburger Folklore und das Symbol schlechthin für die gute Polizei, wie jeder sie mag: Die Beamten helfen besoffenen Touristen ins Hotelbett, halten die schweren Jungs vom Kiez leidlich in Schach und lassen sich manchmal auch noch bereitwillig fotografieren. Da hätte man auch gleich Großstadtrevier-Star Jan Fedder den Kiefer brechen können. So einiges spricht dafür, dass die Täter ein gutes Stück weg von den Aktivisten der Roten Flora sind, intellektuell und vielleicht auch räumlich.

Diskussion verhindert

Natürlich gibt es jetzt eine, wenn auch überschaubare Welle der Solidarität mit der Polizei in der Stadt. Natürlich können die Polizeigewerkschaften jetzt all ihre Forderungen wieder aus der Mottenkiste holen, die sie schon x-mal erhoben haben: mehr Geld, mehr Beförderungen, mehr Stellen – und auch endlich Elektroschocker für alle Beamten. Eine Nahkampfwaffe, die tödlich wirken kann und gegen Steinewerfer nicht hilft.

Sogar mit dem Einsatz von Schusswaffen drohte ein Gewerkschaftsfunktionär. Als wäre das etwas Neues: Polizisten schießen, wenn sie sich in unauflösbarer Bedrängnis sehen. Dürfen sie auch. Wenn sie dazu überhaupt noch kommen. Und natürlich kommt jetzt wieder einmal die Frage nach härteren Strafen gegen politisch motivierte Gewalt auf.

Die Davidwachen-Angreifer haben es geschafft, dass über alles Mögliche geredet wird, nur nicht über die Strategiefehler und das Demokratieverständnis einer Polizeiführung, die an jenem vierten Adventssamstag eine legale Demonstration verhindern wollte, kleine Einheiten in Nahkampfsituationen verheizt hat und später ebenso hanebüchene wie widersprüchliche Begründungen dafür lieferte. Dazu hätten möglicherweise auch die wortgewaltigen Polizeigewerkschafter etwas zu sagen gehabt. Müssen sie jetzt aber nicht mehr. Volltreffer!

4 Jan 2014

AUTOREN

Jan Kahlcke

TAGS

Hamburg
Rote Flora
Polizei
Demonstrationsrecht
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Hamburg
Hamburg
Hamburg
Davidwache
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg
Davidwache
Hamburg
Polizei
Göttingen
Rote Flora
Hamburg
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg
Rote Flora

ARTIKEL ZUM THEMA

Schanzenfest in Hamburg: Kritik statt Krawall

Das Schanzenfest findet dieses Mal am Sonntag und nicht am Samstag statt. Das Kalkül: Auswärtige Jugendliche bleiben weg, weil sie Montag zur Schule müssen.

Anwalt über Angriff auf die Davidwache: „Man wird es vertuschen“

Kommende Woche werden zwei Zeugen zu den Angriffen auf die Polizei aussagen. Anwalt Andreas Beuth bezweifelt, dass es echtes Aufklärungsinteresse gibt.

Kritischer Polizist über Hamburg: „Das ist irre“

Thomas Wüppesahl kritisiert die Hamburger Polizei für ihre Strategie der Härte. Mit politischer Rückendeckung agiere sie gegen das Gesetz und lüge systematisch.

Protest in Hamburg: Spaziergang im Gefahrengebiet

Erster Protest gegen umstrittene Polizeikontrollen: 500 Menschen demonstrieren friedlich im Schanzenviertel, 44 kommen in Polizeigewahrsam.

Hamburger Polizei korrigiert sich: Zweifel am Angriff auf Davidwache

Der schwer verletzte Polizist der Hamburger Davidwache ist laut Polizei 200 Meter entfernt verletzt worden – und nicht bei einer Attacke auf die Davidwache.

Mehr Befugnisse für Hamburgs Polizei: SPD verteidigt Gefahrengebiet

Die Hamburger SPD unterstützt die Einrichtung der „Gefahrenzone“. 200 Menschen wurden bis Sonntagfrüh überprüft, 70 Aufenthaltsverbote ausgesprochen.

Hamburger Krawalle: Solidarität mit attackierten Polizisten

Nachdem bei Angriffen auf die Hamburger Davidwache ein Polizist schwer verletzt wurde, erhält die Polizei Zuspruch - und stellt Forderungen.

Mehr Befugnisse für die Polizei: Gefährliches St. Pauli

Nach dem zweiten Angriff auf die Davidwache hat die Hamburger Polizei St. Pauli und umliegende Stadtteile zu einem zeitlich unbefristeten Gefahrengebiet erklärt.

Neuer Twitter-Trend: Danke, Polizei!

Dank für gebrochene Nasen, verhinderte Demos und die Räumung von Häusern. Unter dem Hashtag #dankepolizei lassen Twitternutzer Dampf ab.

Versuchte Anschläge in Göttingen: Explosives in Plastiktüten

Unbekannte deponieren in Göttingen drei fast baugleiche Sprengsätze, die nicht detonieren. Die Polizei vermutet einen politischen Hintergrund.

Krawalle in Hamburg: Angriff auf Villen von Firmenchefs

Attacke auf der Elbchausse: Im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Schließung des Kulturzentrums „Rote Flora“ wurden auch Hamburger Villen angegriffen.

Flora-Krawalle in Hamburg: Staatsstreich am Schulterblatt

Vieles deutet darauf hin, dass die Polizeiführung die Rote-Flora-Demonstration am vergangenen Wochenende von Anfang an verhindern wollte.

Flora-Demonstranten mit Nazi-Sturmtrupps verglichen: Autonome wie Hitlers Schergen

Grüner Bezirksabgeordneter vergleicht gewalttätige Flora-Demonstranten mit „marodierenden SA-Horden“, rudert nach fünf Tagen aber schließlich zurück.

Polizeifunktionär über Rote-Flora-Protest: „Abschaum“ statt Demonstranten

Ein Polizeigewerkschafter hat Demonstranten beschimpft, die den Erhalt der „Roten Flora“ forderten. Selbst sein Chef kritisiert seine Wortwahl.