taz.de -- Proteste in der Ukraine: Entführter berichtet von Folter
Ein Aktivist wurde von Unbekannten verschleppt und misshandelt. Das Militär verlangen von Präsident Janukowitsch die „Stabilisierung des Landes“.
KIEW taz | Als Dmitri Bulatow am Donnerstagabend plötzlich mit Schnittwunden im Gesicht und am Ohr und einem blutdurchtränkten Hemd wiederauftauchte, konnten ihn auch seine Angehörigen kaum wiedererkennen. Der führende Aktivist der ukrainischen Demokratiebewegung war am 22. Januar im Kiewer Stadtteil Troschina spurlos verschwunden.
Acht Tage sei er gefoltert worden, berichtete er ukrainischen Journalisten. Man habe ihn im Gesicht und am ganzen Körper mit Messern traktiert, gekreuzigt, geschlagen. Die ganze Zeit seien seine Augen verbunden gewesen. Die letzten beiden Tage habe er hungern müssen. Wer die Männer seien, die ihn am 22. Januar entführt hatten, wisse er nicht. Sie hätten Ukrainisch mit russischem Akzent gesprochen, berichtete er im ukrainischen Fernsehkanal „Hromadske“.
Die Entführer hätten wissen wollen, wer die Proteste finanziert. Am Donnerstag sei er dann bei 20 Grad Minus in einem Wald in der Umgebung von Kiew aus dem Wagen geworfen worden. Nur mit Mühe habe er sich zu einem Haus schleppen können, wo man ihm schließlich geholfen habe.
Unweit des Dorfes Wischenki war schon am 22. Januar der Leichnam des Aktivisten Juri Werbitzki gefunden worden. Auch dieser hatte Folterspuren am Leib. Derzeit wird Bulatow in einer Kiewer Klinik behandelt. Lebensgefahr, so die ukrainische Prawda, bestehe nicht. Einer seiner ersten Besucher war Wladimir Klitschko.
Wut und Fassungslosigkeit über Folterbilder
Der Fall Bulatow steigerte am Freitag die Wut der Demonstrierenden auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz Maidan. „Wie können wir überhaupt mit denen verhandeln, die unsere Leute foltern und töten?“, erklärte der Bewohner eines Zeltes aus der Westukraine. „Die machen doch, was sie wollen. Wir werden diesen Platz hier nicht räumen, bis unsere Forderungen erfüllt sind“, so der Mann. Die Bilder des schwer gefolterten Aktivisten sind das Tagesgespräch in Kiew. Auch Menschen, die sich als unpolitisch verstehen, können es kaum fassen.
Andrei Tarasenko vom radikalen und nationalistischen Flügel der Bewegung kündigte weitere „Angriffe“ an, sollten nicht die über einhundert inhaftierten Maidanaktivisten unverzüglich und ohne Vorbedingungen freigelassen werden.
Am Freitag wandten sich Offiziere und Mitarbeiter in einem offenen Brief an den Oberkommandierenden der ukrainischen Streitkräfte, Präsident Janukowitsch, endlich „nicht mehr aufschiebbare Maßnahmen zur Stabilisierung des Landes und Erzielung eines Konsens in der Gesellschaft“ zu ergreifen. Die Besetzung von staatlichen Gebäuden sei ein „nicht akzeptabler Gewaltakt“. Nato-Generalsekretär Fogh Rasmussen zeigte sich über das Schreiben besorgt. „Das Militär muss neutral bleiben“, schrieb er.
31 Jan 2014
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