taz.de -- „American Hustle“ auf der Berlinale: Dicklicher Leib in kurzen Hosen
Christian Bale verkörpert in „American Hustle“ von David O. Russell mit sensationell schmieriger Verve einen Trickbetrüger.
Von all den Filmen, die das Rennen um den Oscar dieses Jahr zur großen Oper machen, bringt nur „American Hustle“ es fertig, zugleich den stolzen schwarzen Schwan und das hässliche Entlein zu verkörpern. Es ist ein Film, der die Unansehnlichkeit seiner Epoche (Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre) und seiner Figuren mit ihren Schmerbäuchen und abstrusen Frisuren herausstellt – und sie dann für den Mut und die Würde bewundert, mit der sie diese tragen.
Auf den ersten Blick scheint sich „American Hustle“ ganz an die damals modischen Glitzer-Oberflächen und tiefen Dekolletées zu verlieren, doch dann findet er genau darin eine Wärme, die einem das höhnische Lachen wohlig im Halse erstickt. Filme wie „Gravity“ und „Twelve Years a Slave“ werden bewundert, „American Hustle“ aber wird geliebt.
Zu dieser Zuneigung trägt auch bei, dass David O. Russells neuer Film von einem der populärsten Helden der US-Popkultur handelt, vom Trickbetrüger. Wobei das amerikanische Wort dafür, „con artist“, schon zeigt, wie viel mehr Respekt ihm jenseits des Atlantik gezollt wird.
Christian Bale verkörpert ihn hier mit sensationell schmieriger Verve. Die ungeheuer vielsagende Auftaktszene des Films zeigt, wie er unter Zuhilfenahme von Watte, Klebstoff und Haarspray seine Glatze unter dem wenigen Haar, das er noch hat, zu verstecken versucht. Es ist quasi das Wesen der Trickbetrügerei am Miniaturmodell demonstriert. Man erfasst die wichtigsten Elemente auf einen Blick: Sorgfalt, Einfallsreichtum und der feste Glaube an die gelungene Täuschung. Seine Geliebte wird später über ihn sagen, dass sie das Selbstbewusstsein, mit dem er seinen dicklichen Leib in kurzen Hosen präsentierte, ungeheuer anziehend fand.
Bales Figur nennt sich Irving Rosenfeld und ist einmal mehr inspiriert vom realen Leben: angelehnt an einen gewissen Melvin Weinberg, den das FBI Ende der 70er Jahre tatsächlich für die Überführung korrupter Politiker einsetzte. Die damalige Aktion, die zur Verurteilung eines Senators und fünf Kongressabgeordneter führte, wurde unter dem Namen „Abscam“ bekannt, worauf David O. Russell einen schönen Metakommentar in seinen Film einarbeitet.
„Das ist doch total rassistisch! Abscam? Soll das Arab-Scam heißen?“, fragt da die von Michael Peña gespielte Person, die im FBI-Auftrag den arabischen Sheikh gibt, der die Politiker schmiert. Und der Leiter der Operation, der von Bradley Cooper verkörperte Richie DiMaso antwortet: „Was kümmert dich das, Sheikh? Du bist doch Mexikaner!“
Was ist wahr, was erfunden? Egal
Zu den weiteren Vorzügen des Films gehört, dass man ihn auch genießen kann, wenn man sich nicht darum kümmert, was wahr und was erfunden ist. Man kann sich ganz auf die tollen Darsteller konzentrieren, die eine selten gesehene Dichte von wunderbaren Figuren schaffen.
Da ist Bradley Cooper, der einen manischen FBI-Mann mit Minipli gibt, dessen aggressive Attacken auf seinen von Louis C. K. herrlich ängstlich gespielten Chef an den Grausamkeitshumor zwischen Stan Laurel und Oliver Hardy erinnern. Und da ist Jeremy Renner, der mit jungenhaftem Gesicht glaubhaft einen reifen Politikerpatriarchen mit Großfamilie und großem Herzen gibt. Und da ist Jennifer Lawrence, die als verlassene Ehefrau ein verrücktes Temperament zeigt und deren Äußerungen noch unvorhersehbarer sind als alle Plotwendungen: „Thank God for me!“
Die Krönung aber ist Amy Adams als zaudernde Femme fatale, die auf irritierende Weise Schönheit und Unsicherheit verbindet. Wie diese Figuren liebt man den Film am Ende gerade dafür, dass er so unperfekt ist, sein Erzählrhythmus holprig, die Chronologie der Ereignisse uneben, der Humor etwas seltsam. Einfach unwiderstehlich.
7 Feb 2014
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