taz.de -- 193. -200. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Befehlsgewalt oder nicht?

Das OLG Stuttgart bezweifelt, dass FDLR-Präsident Murwanashyaka aus Deutschland heraus Kriegsverbrechen im Kongo hätte verhindern können.
Bild: „Damit wir alle Helden werden“: Murwanashyakas Osterbotschaft an die FDLR.

BERLIN/STUTTGART taz | Das hat es bisher im Verfahren gegen Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, die beiden in Stuttgart angeklagten politischen Führer der ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) noch nicht gegeben: Zwei komplette Verhandlungstage fallen aus, weil über einen erneuten Befangenheitsantrag der Verteidigung gegen den Senat beraten werden muss. Statt 202 Verhandlungstage bis zur Weihnachtspause 2013, wie zunächst vorgesehen, kommt das Gericht daher nur auf 200.

Der Antrag wird abgelehnt. Er folgt auf die Vernehmung weiterer kongolesischer Opferzeugen per Videolink, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Öffentlich wird lediglich das Begehren des Angeklagten Murwanashyaka, die Zeugen in seiner Muttersprache Kinyarwanda (Ruandisch) befragen zu dürfen. Dies lehnt der Senat ab, per Vorsitzendenanordnung.

Bisher habe man das Murwanashyaka gestattet - aber inzwischen sei klar, dass der FDLR-Präsident die deutsche Sprache ausreichend beherrscht, so der Vorsitzende Richter Hettich. Das hätten sowohl seine Promotion in Deutschland als auch seine zahlreichen Beanstandungen der Übersetzungen ruandischer Aussagen ins Deutsche während der Hauptverhandlung gezeigt.

Diese Ablehnung ist Grund für den Befangenheitsantrag, dessen Behandlung außerordentlich lange dauert. Als der Senat wieder zusammentritt, ist es der 18. Dezember 2013, der letzte Verhandlungstag des Jahres vor der Weihnachtspause. Passend dazu wird Murwanashyakas Osterbotschaft an die FDLR vom Jahr 2009 verlesen.

Osterbotschaft vor der Weihnachtspause

Die Osterbotschaft datiert aus der Zeit nach den gemeinsamen kongolesisch-ruandischen Armeeoperationen gegen die Miliz im kongolesischen Busch und nach dem mutmaßlichen Befehl an die FDLR, eine „humanitäre Katastrophe“ unter der kongolesischen Zivilbevölkerung anzurichten - ein Befehl, dessen Existenz die Angeklagten bestreiten.

Die FDLR habe sich gegründet wegen der „Schreie gegen die FPR-Regierung“, steht da - gemeint ist die Regierung der in Ruanda regierenden ehemaligen Tutsi-Guerilla RPF (Ruandische Patriotische Front) von Präsident Paul Kagame; FPR ist die französische Version des Namens. Die FPR wolle alle Hutu mit Aids infizieren, habe alles in ihren Händen und begehe Massaker.

Die FDLR kämpfe für die Befreiung der Mehrheit der Ruander und Kongolesen. Murwanashyaka dankt den Abacunguzi (FDLR-Kämpfer) für ihr Verhalten und motiviert sie, dass der Feind den Krieg verlieren werde wie in der Vergangenheit.

Wer aus dem Kongo nach Ruanda zurückkehre, solle sich nicht mit der Regierung verbünden, sondern mit den Zielen der FDLR die Menschen in Ruanda mobilisieren. Ziel sei die Freiheit aller Ruander.

Von den FDLR-Mitgliedern fordert Murwanashyaka Bescheidenheit und Nächstenliebe. Er spricht von „unserem großen Befreier Jesus Christus“ und sagt: „Die Jungfrau Maria soll für uns beten, damit wir alle Helden werden“.

Die Botschaft wird am 1. April vewröffentlicht, mit leichten Veränderung. „Benehmt euch wie Heilige, nicht nur zur Osterzeit sondern auch in Zukunft“ fordert der FDLR-Präsident seine Mitglieder auf. Unterzeichnet: Deutschland, 1 4.2009, Ignace Murwanashyaka.

In einer E-Mail vom gleichen Tag führt der Präsident aus, dies sei die Version für die Öffentlichkeit. Für die Leute im Busch habe es eine eigene Version gegeben, die schon geschickt worden sei.

„Versuchsstrafbarkeit“ und „Tatverhinderungsmacht“

Schließlich nimmt die Bundesanwaltschaft Stellung zu einem bereits vor einiger Zeit ergangenen rechtlichen Hinweis des Senats, wonach Murwanashyaka nach dem Stand der bisherigen Ermittlungsergebnisse nicht als Befehlshaber im Sinne von Paragraf 4 des Völkerstrafgesetzbuches verurteilt werden könne (siehe Kasten), sondern eventuell nur als „Versuchsstrafbarkeit“ – hier greift §23 des Strafgesetzbuches (siehe Kasten).

Hier geht es einerseits darum, ob Murwanashyaka tatsächlich Befehlsgewalt über die FDLR-Kämpfer hatte oder sich das vielleicht nur einbildete – eine eingebildete Befehlsgewalt als Straftatbestand hat es international so noch nicht als Konstrukt gegeben und würde wohl auch sehr diskutiert werden.

Zum anderen ist die Frage, ob Murwanashyaka „Tatverhinderungsmacht“ hatte – ob der FDLR-Präsident also aus Deutschland in der Lage war, die FDLR-Einheiten im Kongo daran zu hindern, Verbrechen zu begehen. Der Senat zweifelt daran offenbar. Die Staatsanwälte zweifeln daran nicht und führen die entsprechenden Zeugenaussagen der vergangenen Jahre aus. Die Bundesanwaltschaft halte an der Anklage gemäß Paragraf 4 VStGB fest.

14 Feb 2014

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Dominic Johnson
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