taz.de -- Volkswirt über TTIP: „Entwarnung wäre verfrüht“

Die größten Bedenken gegen die Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA kommen vom EU-Parlament, sagt Handelsexperte Peter Fuchs. Aber nützt das?
Bild: Fracking in Pennsylvania. Drohen bei Verboten in EU-Staaten Klagen der Unternehmen?

taz: Herr Fuchs, die EU-Kommission verhandelt in dieser Woche wieder mit den USA über das TTIP. Sie mobilisieren gegen dieses Freihandelsabkommen. Wo sehen Sie die größte Gefahr?

Peter Fuchs: TTIP eröffnet die Möglichkeit, dass Konzerne gegen Staaten klagen, weil sogenannte Investorenrechte verankert werden. Sobald Konzerne meinen, dass ihre Investitionen „unfair“ behandelt wurden, können sie vor ein internationales Schiedsgericht ziehen. So fordert der Energiekonzern Vattenfall 3,7 Milliarden Euro von der Bundesrepublik, weil er die Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel vorzeitig abschalten musste. Vattenfall nutzt ein bestehendes Abkommen: den Energiecharta-Vertrag. Mit TTIP würde es noch schlimmer: US-Energiekonzerne könnten Europa zwingen, umweltschädliches Fracking zu erlauben.

Deutschland hat keinem einzigen Unternehmen gestattet, Fracking zu betreiben. Wie sollen Konzerne da klagen? Ihnen entgehen keine Gewinne, weil sie auch bisher mit Fracking keine Profite machen dürfen.

Das stimmt für Deutschland. Aber in anderen EU-Ländern wie etwa in Frankreich oder Polen wurden bereits Förderlizenzen erteilt, und dort könnte es problematisch werden, wenn diese wieder zurückgezogen werden, um die Umwelt zu schonen.

Die EU-Kommission hat beim Investorenschuz bereits ein Verhandlungsmoratorium verhängt. Das Ergebnis dürfte sein, dass dieses Thema aus dem Freihandelsabkommen verschwindet.

Sicher ist dies nicht, Entwarnung wäre verfrüht. Denn die EU verhandelt parallel über ein Freihandelsabkommen mit Kanada, CETA. Dieses steht kurz vor dem Abschluss. Dort sind ebenfalls weitreichende Investorenschutzklauseln vorgesehen. Ein amerikanischer Konzern benötigt also nur eine Tochterfirma mit relevanter Geschäftstätigkeit in Kanada, um gegen EU-Länder zu klagen.

Ein solcher Umweg ist für viele US-Firmen jetzt schon möglich: Deutschland hat seit 2001 ein Investorenschutzabkommen mit Mexiko, wo eine ganze Reihe US-Konzerne Töchter haben. Sie könnten schon jetzt gegen Deutschland klagen. Welchen Unterschied soll CETA da noch machen?

Bisher ist es noch nie vorgekommen, dass eine US-Firma via Mexiko gegen Deutschland geklagt hätte. Man müsste die Formulierungen im Mexiko-Abkommen genau prüfen. Meist reicht es nicht, nur eine Briefkastenfirma zu haben, aber auch das ist schon vorgekommen.

Das CETA-Abkommen ist fast fertig. Ist es noch zu stoppen?

Ja, sicher! Aber von der deutschen Regierung ist überhaupt kein Widerstand zu erwarten. Hier dominieren Exportinteressen und die wahnhafte Vorstellung, vom Freihandel würden alle profitieren. Ablehnung könnte eher von Frankreich und aus süd- und osteuropäischen Ländern kommen, die kritischer eingestellt sind.

Es muss nicht nur der EU-Rat zustimmen, sondern auch das Europäische Parlament. Könnte CETA dort scheitern?

Im Parlament sind die Chancen höher, aber es ist noch viel Arbeit. Wir müssen die Europawahl intensiv nutzen und jede Kandidatin und jeden Kandidaten nach seiner Haltung zu TTIP und CETA fragen. Aber es könnte sein, wenn der Widerstand gegen die Ratifizierung zu groß ist, dass die EU-Kommission CETA später mittels „provisional application“ in Kraft treten lässt: Es würde dann „vorläufig“ schon einmal wie geltendes Recht behandelt. So lief es früher auch lange beim Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen GATT. Die Gefahr ist daher hoch, dass US-amerikanische oder kanadische Konzerne künftig gegen EU-Staaten klagen und Milliarden an Schadenersatz fordern, die die Steuerzahlerinnen aufbringen müssen.

9 Mar 2014

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Ulrike Herrmann

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