taz.de -- Kommentar Lage in der Ostukraine: Nur ein Weg zur Deeskalation
Um die kritische Lage im Osten der Ukraine zu entschärfen, muss die Übergangsregierung in Kiew der dortigen Bevölkerung entgegenkommen.
Die Demonstrationen und Besetzungsaktionen der letzten Tage in mehreren ostukrainischen Städten ähneln zwar in mancher Hinsicht jenen auf der Krim vor ihrer völkerrechtwidrigen Annexion durch Russland am 23. März. Aber es gibt auch Unterschiede. Zudem stoßen die Forderungen russischstämmiger Demonstranten in Charkiw, Donezk oder Lugansk nach dem Anschluss an Russland bei Moskauer Politikern zumindest bislang eher auf Ablehnung.
Für die Behauptung, dass diese Aktionen und Sezessionsforderungen aus Moskau ferngesteuert werden, gibt es zwar einige Indizien, aber noch keine Beweise. Dasselbe gilt für den Vorwurf, die – bedrohliche – Massierung russischer Truppen an der Ostgrenze der Ukraine diene zur Vorbereitung einer Invasion. Es ist durchaus möglich, dass Putin die Geister, die er auf der Krim gerufen hat, nun in der Ostukraine nicht mehr loswird und dass er die Dynamik der Entwicklungen nicht mehr unter Kontrolle hat.
Doch egal welche Version sich eines Tages vielleicht als Wahrheit herausstellen wird: Zur Deeskalation der hochgefährlichen Situation gibt es nur einen Weg. Die EU und die USA müssen die Übergangsregierung in Kiew dazu bewegen, spätestens für den Termin der geplanten Präsidentschaftswahl am 25. Mai auch eine Parlamentswahl anzusetzen.
Statt der von Übergangsregierungschef Jazenjuk bereits für den kommenden Dienstag angekündigten Verabschiedung einer neuen Verfassung müssen Verhandlungen stattfinden unter repräsentativer Beteiligung der russischen Bevölkerung über ein neues föderales Grundgesetz, durch das die Sprachen- und andere Minderheitenrechte verlässlich garantiert werden.
Nur dann ist zu erwarten, dass Russland seine Truppen aus dem Grenzgebiet zur Ukraine zurückzieht und die für für das Nachbarland ruinöse Erhöhung der Gaspreise wieder zurücknimmt.
Red.: Bild ausgetauscht am 09.04.2014.
9 Apr 2014
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Putin warnt vor eingeschränkten Gaslieferungen. Der IWF entscheidet erst Ende April über Milliardenhilfen. Die Nato sorgt sich um die russischen Truppen an der Ostgrenze.
Gennadij Midwitschuk demonstrierte in Kiew, als ihn drei Kugeln trafen. Er wurde in einem deutschen Krankenhaus behandelt. Die Schilderung einer blutigen Nacht.
Wie wird sich das Verhältnis der Nato zu Russland entwickeln? Das Bündnis ist auf der Suche nach einer neuen Aufgabe – bisher erfolglos.
Prorussische Aktivisten halten im Osten der Ukraine Verwaltungsgebäude besetzt. Die Regierung in Kiew hat ihnen nun im Falle eines Rückzugs Straffreiheit garantiert.
In Donezk wappnen sich die prorussischen Besetzer für die Kraftprobe mit der Staatsmacht. Die Bevölkerung hofft auf eine friedliche Lösung.
Während Kerry und Merkel Russland zu mehr Kooperation bewegen wollen, droht die ukrainische Führung mit Gewalt. Die Lage im Osten bleibt unübersichtlich.
Der Kreml will die Ostukraine durch Föderalisierung an sich binden. Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt das ab – obwohl die russische Propaganda sich Mühe gibt.
Zweifellos zieht auch der Kreml die Strippen hinter den prorussischen Protesten in der Ukraine. Jetzt muss Kiew der Bevölkerung Angebote machen.