taz.de -- Zwei Monate vor Fußball-WM: Polizei räumt Siedlung in Rio

Beamte haben am Freitag tausende Arme aus Holzhütten und einem besetzten Gebäude vertrieben. Es kam zu Ausschreitungen und Plünderungen.
Bild: Vorfreude auf die WM sieht anders aus: Polizist während der Ausschreitungen um die Armensiedlung.

RIO DE JANEIRO afp | Zwei Monate vor der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien haben Polizisten in der Nähe des legendären Maracaná-Stadions gewaltsam eine Armensiedlung geräumt. Mindestens sieben Menschen wurden den Behörden zufolge verletzt und über 20 weitere festgenommen, als die Beamten am Freitag tausende Arme von dem 50.000 Quadratmeter großen Grundstück vertrieben. Diese hatten dort vor Wochen ein leerstehendes Gebäude besetzt und begonnen, Holzbaracken zu bauen.

Schon am Morgen umstellten mehr als 1600 Polizisten das Areal mit einem Räumungsbefehl im Auftrag des Grundstückseigentümers, der Telefongesellschaft Oi. Zugleich rissen Kräne und Planierraupen die Holzhütten ein, in denen sich zum Teil noch die Habseligkeiten der Bewohner befanden. „Das also geschieht im Land der Weltmeisterschaft", riefen viele empört.

Hunderte verzweifelte Bewohner und Nachbarn gingen daraufhin aus Protest auf die Straße. Wütende Jugendliche warfen Steine und Flaschen auf die Polizisten, diese reagierten mit Tränengas und Gummigeschossen. Mehrere Busse und drei Übertragungswagen von örtlichen Radio- und Fernsehsendern gingen in Flammen auf. Die Polizei trieb die meisten Bewohner innerhalb von Minuten auseinander. Etwa hundert Protestierende leisteten aber zunächst stundenlang Widerstand gegen die Beamten und weigerten sich, die Gebäude zu verlassen.

Die Behörden sprachen von sieben Verletzten und 22 Festnahmen. Unter ihnen seien auch zehn Menschen, die nicht in dem Armenviertel wohnten. Medien gaben die Zahl der Verletzten mit 19 an - darunter zwölf Polizisten und drei Kinder. Die Gewalt übertrug sich später auf benachbarte Siedlungen, auch dort wurden Busse und Lastwagen sowie ein Polizeiwagen angezündet. Anwohner plünderten mehrere Supermärkte und drangen in Banken ein.

Die meisten Familien auf dem geräumten Gelände waren obdachlos oder außerstande, die hohen Mieten in anderen Armenvierteln, den sogenannten Favelas, zu bezahlen. Ende März hatten rund 5000 Menschen das seit Jahren leerstehende Gebäude auf dem Gelände besetzt und begonnen, ringsherum Hütten zu errichten. Ganz in der Nähe steht das Maracaná-Stadion, wo bei der Weltmeisterschaft sieben Partien stattfinden - darunter am 13. Juli das Endspiel. 2016 werden in dem Stadion Wettbewerbe der Olympischen Spiele ausgetragen.

12 Apr 2014

TAGS

Fußball-WM 2014
Brasilien
Rio de Janeiro
Favelas
Brasilien
Brasilien
Buch
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
WM 2014
Fußball-WM 2014
Brasilien
Brasilien
Militär

ARTIKEL ZUM THEMA

Kommentar Proteste in Rio de Janeiro: Die Polizei ist das Problem

Die Armen des Landes setzen sich gegen staatliche Gewalt zur Wehr. Solange Brasilien auf korrupte Beamte und die Militärpolizei setzt, wird es keinen Frieden geben.

Brasilien vor der WM: Toter bei Ausschreitungen in Favela

In einem Slum in Rio de Janeiro bekriegen sich Gangs und Polizei. Anlass ist der Tod eines bekannten Tänzers. Bei den Unruhen wird ein Mann erschossen.

Reportage-Buch „Brasilien brennt“: Eine Eroberung via Tagebuch

Wer vor der Fußball-WM etwas über Brasilien erfahren möchte, sollte Adrian Geiges „Brasilien brennt“ lesen. Eine schöne Kennenlernlektüre.

Kommentar Sport-Spektakel in Rio: Die Gewalt der Spiele

Die politische Elite will mit der Fußball-WM und Olympia 2014 ein modernes Brasilien inszenieren. Die Armen in Rio haben davon nichts - außer Repressionen.

Brasilien bereitet sich auf WM vor: Favela in Rio plattgewalzt

Kurz vor der Fußball-WM geht Rio mit erhöhter Gewalt gegen die Bewohner der Favelas vor. Einige Vertriebene protestieren vor dem Rathaus.

Ein brasilianischer Blick auf die WM: Größenwahn und Ahnungslosigkeit

Ex-Präsident Lula hat sich von Fußball-Bossen verführen lassen, seine Nachfolgerin agiert hilflos. Vom brasilianischen Volk ist die WM weit entfernt.

Brasilien vor Fußball-WM 2014: Armee schickt Soldaten in Favelas

2.700 Militärs sollen ein Armenviertel in Rio de Janeiro absichern. Der Stadtteil gilt als Hochburg des Drogen- und Waffenhandels. Die Soldaten sollen bis Ende Juli bleiben.

50 Jahre Militärputsch in Brasilien: Das Erbe der Gewalt

Zum 50. Jahrestag des Militärputsches in Brasilien fordern Opferverbände die Aufarbeitung der Geschichte. Doch viele Menschen schweigen lieber.

Brasilien vor der Fussball-WM: Mit dem Panzer ins Wohnzimmer

Am Sonntag sind mehr als 1.400 Polizisten in ein Elendsviertel in Rio de Janeiro eingrückt. Das „Befriedungsprogramm“ soll die Fussball-WM absichern.