taz.de -- Stück zum NSU im Residenztheater: Hatten Sie eine Lebensversicherung?
Christine Umpfenbach ergreift mit ihrem Stück „Urteile“ am Münchner Residenztheater Partei für die Opfer des NSU-Terrors. Ein Abend eindringlicher Emotionen.
Nun sind die Opfer im Staatstheater angekommen und damit in der Mitte der Gesellschaft. Auf der Bühne werden sie von drei Schauspielern vertreten. Im Zuschauerraum sitzen sie bei der Premiere selbst: als Zeugen des Rehabilitierungsversuchs, den eine Regisseurin unternimmt.
Und Christine Umpfenbach meint es ernst. Fast zwei Jahre lang hat sie Gespräche mit Anwälten, Journalisten und Ermittlern geführt – vor allem aber mit den Angehörigen der zwei Männer, die die rechte Terrorzelle NSU in München ermordet hat: Der Gemüsehändler Habil Kilic starb im August 2001, im Juni 2005 folgte Theodoros Boulgarides in seinem Schlüsseldienst.
Zwei von zehn aus Ausländerhass Exekutierte, die Umpfenbach deshalb ausgewählt hat, weil sie Münchner waren und einige Zuschauer auf dem Heimweg den Gemüseladen bemerken könnten, den es noch immer gibt. Dann käme die entsetzliche Erinnerung an das eingetrocknete Blut wieder, das Kilic’ Bruder vom Boden kratzen musste. Oder war das der Bruder des anderen? Die Konturen der beiden Fälle verschwimmen bewusst.
Was diese Familien durchgemacht haben zwischen ihrem unbegreiflichen Verlust und der Entdeckung des Zwickauer Terrortrios, davon erzählt „Urteile“ exemplarisch. Jene Urteile im Fall NSU, der seit dem 6. Mai 2013 vor dem Münchner Oberlandesgericht verhandelt wird, sind noch immer nicht gesprochen.
Mit der Vorverurteilung der Opfer haben sich Polizei und Medien leichter getan: „Hatten Sie eine Lebensversicherung?“ – „Mit wem haben Sie mit Drogen gehandelt?“ Derlei Fragen prasselten auf ihr Umfeld nieder. Weil gleich klar schien, dass diese „Dönermorde“ mit der „Türken-Mafia“ zu tun haben mussten oder anderen Gepflogenheiten „in diesem Milieu“. Wem so etwas passiert, der muss es verdient haben: An solche Denkschablonen klammerte sich das Seelenheil der vermeintlich Nichtbetroffenen. Bei den anderen türmte sich auf Trauer und Angst nun auch noch die Schuld.
Auf der intimen Marstall-Bühne des Bayerischen Staatsschauspiels sitzen die Zuschauer eng am Geschehen. Die Wurzeln des grünen Ahornbaums, der kopfunter von der Decke hängt, sind lang und vital. Und doch kann man sie nicht einfach woanders wieder in die Erde stecken. Der Bruder von „Theo“ Boulgarides hat es versucht mit Griechenland, nachdem sich seine Kollegen weggedreht haben, sobald er den Raum betrat. Aber er konnte „da unten“ nicht leben. Auch die Schwiegermutter von Habil Kilic beteuert, nach Bayern zu gehören. Was aber tun, wenn die Heimat einen nach 60 Jahren wieder zu „den anderen“ zählt?
Leise Empathie
Paul Wolff-Plottegg, Gunther Eckes und Demet Gül sprechen mit leiser Empathie die Worte all derer, deren Namen in Leuchtschrift über ein Infoband laufen. Einmal probieren die Männer einen pontischen Tanz, den „der große Theo“ so liebte. Einmal werfen alle drei als Großmarktkollegen von Habil Kilic Melonen auf die Bühne. Sonst sind Ästhetik und Inszenierung Nebensache. Die Texte müssen für sich sprechen.
Die freie Regisseurin, die für ihre Arbeit im Dienst der Ausgegrenzten den Münchner Theater-Förderpreis erhalten hat, ergreift klar für die Opfer Partei. Das ist in Ordnung, denn Umpfenbach hat ihnen gegenüber Verantwortung übernommen. Und weil diese Menschen nicht erneut verletzt werden dürfen, nimmt die Aufführung all ihre Aussagen sehr ernst, während eine Schulleiterin, eine Journalistin und ein Polizeireporter eher in Richtung Karikatur geraten.
In den eingeschobenen Selbsterfahrungsberichten von Umpfenbachs Koautorin Azar Mortazavi wird sehr schnell die Rassismusfahne gehisst, wo als Erklärung schon Unbeholfenheit ausreichen würde. Am Ende fühlt sich jeder, der einen Namen nicht auf Anhieb richtig ausspricht, als Schuft. Das schwächt das Ungeheuerliche, das den Opferfamilien passiert ist. „Urteile“ ist kein Abend der Analyse, sondern einer der eindringlichen Emotionen.
14 Apr 2014
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