taz.de -- ESC-Kolumne #Queerjungfrauen X: Conchita, Königin von Österreich
Wie ein Phönix aus der Asche: Frau Wurst gewann den 59. Eurovision Song Contest in Kopenhagen. Stimmen für sie kamen auch aus Osteuropa.
Tom Neuwirth hat in der Rolle der Drag Queen namens Conchita Wurst den 59. Eurovision Song Contest in Kopenhagen gewonnen. Was wie eine nüchterne Nachricht klingt, kam in der dänischen Hauptstadt in der Nacht zum Sonntag einer vielleicht bei vielen erhofften, doch nicht erwarteten Sensation gleich. Die Kandidatin sang ihr im James-Bond-Style – mit Vorbildern wie Shirley Bassey, Sheena Easton und Adele – gehaltenes Lied in Höchstform: „Rise Like A Phoenix“ musste als Titel der Performance wörtlich genommen werden. Eigentlich hatte man ihr nicht den Hauch einer Chance eingeräumt – zumal aus dem eigenen Land der [1][Kabarettist Alf Poier] sie vor wenigen Tagen schmähte. Offenbar hatte das die künstlerische Figur [2][Conchita Wurst] nur noch stärker gemacht.
Neuwirth aka Conchita Wurst verstand seinen, ihren Auftritt durchweg programmatisch. Für Toleranz, für Respekt – denn mit wem wer schläft, sei doch, so erklärt sich der Künstlername, „Wurst“, also egal. Ausgewählt vom österreichischen Fernsehen ORF – auch eine Notlösung, man wollte sich eine kostspielige Vorentscheidung ersparen –, wollte „die Wurst“ (Wiener Redensart) ein Zeichen gegen Homophobie setzen.
In Kopenhagen wurden alle Ängste um die Entwertung ihrer Performance durch schwulenfeindliche Juroren in (Ost-)Europa getilgt. Zwar bekam sie nicht die meisten, aber dennoch sehr ansehnliche Stimmen aus nachsowjetischen Ländern – fünf beispielsweise [3][aus Russland].
Zweite wurde die niederländische Post-Country-Indie-Formation The Common Linnets – ein überraschendes Resultat, wenngleich mit gebührendem Abstand zur Siegerin. Die Niederländer wurden zuvor nicht einmal für das Finale reif gewettet; ihr Lied „Calm After The Storm“ bekam aus einigen Ländern die Höchstwertung von zwölf Punkten – auch aus Deutschland (wo die Siegerin seitens der Jury nur auf den elften Rang gesetzt worden war). Den dritten Rang belegte die Schwedin Sanna Nielsen („Undo“), Vierter wurde der Armenier Aram MP3 („Not Alone“).
Zeitweilig zerfloss das Mascara
Die deutsche Band Elaiza robbte sich am Ende noch auf den 18. Platz – ein für sie traurig stimmendes Ergebnis. Vielleicht ist dieser Rang erklärlich durch diesen gewissen Unterschied, in Köln eine Vorentscheidung zu gewinnen als Außenseiterinnen und in Kopenhagen kurz darauf deutscherseits als Kandidatinnen für die Top 6 gehandelt zu werden. In der B&W-Halle herrschte ausgesprochen ausgelassene Stimmung, zumal Conchita Wurst die Siegerin im Saal schon während ihres Vortrags war: prasselnder Applaus, Fahnengeschwenke von 12.000 Leuten, die den Aufstieg des Phoenix aus der Asche mitgenossen.
Eher als unhöflich fiel auf, dass alles, was Russland betraf, auf schlechte Stimmung stieß. Kriegten die Tolmatschewy-Schwestern zwölf Punkte aus einem Land – Aserbaidschan, Weißrussland –, buhten viele in der Arena. Die russische Punktevergabe aus Moskau wurde ebenfalls durch lautstarkes Buhen und Pfeifen untermalt.
Conchita Wurst sprach auf der Pressekonferenz – ihr zeitweilig zerflossenes Mascara war längst wieder akkurat nachgezogen – von einem Traum, und dass sie noch nicht begreifen könne, was passiert sei. Und: Dass sie nicht für schwule Anliegen allein einstehe, sondern generell für den Respekt vor Menschenrechten eintrete. Toleranz war ihr Zauberwort – ob sie selbst von eurovisionärer Toleranz begünstigt wurde, ist offen. Vielleicht fanden jene, die sie am besten fanden, ihren Bart im Drag-Queen-Gesicht allenfalls irritierend. Und viel wichtiger das Lied, das sie ohne einen Patzer mit strengstem Pathos vortrug.
Conchita Wurst war die Königin des Abends. Und: Sie hat ihr Land (und seinen künstlerischen Nachwuchs) von der Last namens Udo Jürgens befreit. Der gewann für Österreich 1966 den ESC – und gilt seither als Instanz. Er kann nun als Referenzrahmen in Pension gehen – mit fast 80 Jahren ist das gewiss angemessen.
Über Kopenhagen regnete es den ganzen Tag, die ganzen Abend, auch in der Nacht. Wer auf Symbolisches steht, könnte diesen Niederschlag als Tränen des Glücks nehmen: Da hat nämlich eine Richtige gewonnen – weil sie einfach am stärksten zur richtigen Zeit in Form war.
11 May 2014
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