taz.de -- ESC-Kolumne #Queerjungfrauen IX: Warten auf die Bescherung
Der Samstag in Kopenhagen vor Beginn des Grand Finals mutet an wie Heligabend vor der Bescherung. Alles ist präpariert, jetzt muss abgewartet werden.
Nichts ist los am Samstag in Kopenhagen, außer abends, beim Grand Final in der B&W-Halle? Für Menschen, Fans und Journalisten, die eigens für den Eurovision Song Contest in die dänische Hauptstadt gekommen sind doch inzwischen sehr viel. Inzwischen? Städte, die Gastgeber des ESC sind, machen aus diesem Festival ein Marketinglabel. Kostet sie viel Geld. Lohnt sich aber.
Die Bilder – etwa dieses Jahr aus Kopenhagen – gehen in alle Welt. Das macht sie attraktiv für Kreuzfahrtschiffsreisen, Wochenendtripps oder einfach nur einen Kulturbesuch für den Abend. Der „Messias“ im akustikberühmten Konserthus? Ist man doch gleich gewogener, für einen Abend sich in diese Tonspuren zu vertiefen, wenn man weiß, dass die Stadt schön und freundlich ist. Und, ja: Sie ist es. Kopenhagen ist viel netter als es vor 13 Jahren war. Aber wie vertreiben ESC-Fans, selbst solche, die in Kopenhagen kein Ticket für das Grand Final in der Halle bekommen haben, sich die Zeit?
Illums Bolighus, ein Kaufhaus wie das KaDeWe. In der Fußgängerzone, im ESC-Park. Musik lärmt, angemessen metropole Atmosphäre. Man bummelt. Und besucht – natürlich die Meerjungfrau am nördlichen Saum zur Ostsee. Ein echt pittoreskes Motiv. Hübsch ins Wasser dekoriert auf einem Felsen. Nicht zu klein, nicht zu mächtig. Keine Vigeland-Skulptur wie in Oslo. Die Meerjungfrau, im Märchen von Hans Christian Andersen im Mittelpunkt seiner queeren Phantasien, scheint zu lächeln. Etwa so wie die Mona Lisa. So empfinden es die Besucher auf den Treppen vor der Sehenswürdigkeit. Stufen, die selbst trittfest für Fotografen geraten sind, auf dass sie nicht ins Wasser rutschen.
Der Samstag vor dem ESC ist wie Heiligabend vor der Bescherung. Oder vor dem Ende des Ramadan. Oder wenn Chanukka allmählich die Klimax erreicht. Oder wie auch immer: Alles ist präpariert, jetzt muss abgewartet werden. Wie Heiligabend gehen einem grundsätzlich flüchtige Dinge durch den Kopf. Wird es ein schönes Geschenk geben? Oder muss man lächeln, obwohl die Bescherung so gar nicht gefällt.
Es wäre schön, wenn der russische Act nicht ausgebuht würde. Und die Ukraine nicht schon deshalb gewinnt, weil sie aus der Ukraine kommt. Und es wäre noch besser, wenn es keine Gespräche mehr gibt von ESC-Touristen, von denen einige von die Tolmatschewa-Schwestern als „Putin-Schlampen“ diffamierten.
Das ist sexistisch ohnehin – und nur noch peinlich. Dies Stunden bis zur Bescherung werden enden. Momentan sind sie endlos, ganz eurovisionär übergreifend. Heißest gehandelter Siegestipp nach der zweiten Generalprobe gestern abend: Conchita Wurst – Sissi 2.1. mit akkkurat gestutztem Vollbart.
10 May 2014
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Jetzt versucht sich auch die „Zeit“ an der feuilletonistischen ESC-Deutung. Sie scheitert jedoch am Simpelsten. Eine hanseatische Textkritik.
Nach Conchita Wursts Sieg versucht sich das Feuilleton an Erklärungen. Einem Kommentator des Deutschlandfunks misslingt dies völlig. Eine Textkritik.
Wäre es nach den nationalen Jurys gegangen, gäbe es das Phänomen Conchita Wurst nicht. Das Televoting hat sie an die Spitze gebracht – und das ist ergreifend.
Wie ein Phönix aus der Asche: Frau Wurst gewann den 59. Eurovision Song Contest in Kopenhagen. Stimmen für sie kamen auch aus Osteuropa.
Es gibt Hoffnung für Europa. Conchita Wurst gewinnt den Eurovision Song Contest. Wir sind beglückt. Die Menschen in Europa stimmen für Vielfalt. Das ist ein Durchbruch!
Österreichs Drag Queen Conchita Wurst steht im Finale des ESC – völlig zu Recht. Und was machen die deutschen Musikerinnen?
Selbstbewusst und königstreu: Mit Anis Basim Moujahid hat ESC-Gastgeber Dänemark mal einen Kandidaten ohne Blondwurzeln bis in die Steinzeit.
Starke Unmutsbekundungen beim ESC – die hatte es zuvor noch nie gegeben. Doch in Kopenhagen traf es erwartbar das russische Duo. Das aber im Finale ist.
Materialschlachten lohnen sich beim ESC nur selten. Gerade die Osteuropäer samt Holzrhönrad und Trapez scheinen das nicht zu wissen.
ESC-Empfang in Kopenhagens Rathaus: Wird die russische Delegation mit den Ukrainern ins Gespräch kommen? Zu ihr gehört Oligarchen-Liebling Kirkorov.