taz.de -- Der sonntaz-Streit: „Erdogan fühlt sich unverwundbar“

Ist der türkische Premier jenseits von Gut und Böse? Julia Klöckner glaubt, er war der EU noch nie so fern wie jetzt. Andere loben ihn als „echten Osmanen“.
Bild: Erdogan-Fans in Düsseldorf.

Am Samstag will sich der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan von seinen Anhängern in der Kölner Lanxess-Arena bejubeln lassen. Kritische Journalistinnen und Journalisten aus Deutschland und der Türkei müssen allerdings draußen bleiben. Sie wurden von den Veranstaltern ausgeladen.

Julia Klöckner hat die in Deutschland lebenden Türken zu einem Boykott der Veranstaltung aufgerufen. Die CDU-Fraktionsvorsitzende in Rheinland-Pfalz schreibt in der taz.am wochenende: „Erdogan mag sich unverwundbar fühlen, weil ihm viele zujubeln. Pressefreiheit? Egal. Religionsfreiheit? Nicht für Christen. Die Jubler stört das nicht.“ Nie sei Erdogans Türkei der EU so fern gewesen.

Allerdings müsse man auch die Perspektive der Landbevölkerung in der Türkei beachten, schreibt taz-Leserin Mukadder Bauer auf der Facebook-Seite der taz. Erdogan habe für sie einiges verbessert. „Erdogan hat vielen Menschen Selbstbewusstsein gegeben, die vorher unter den kemalistisch geprägten Regierungen keinerlei Beachtung gefunden haben. Diese konzentrierten sich vor allem auf die Stadtbevölkerung und sahen auf die ,Bauern' herab.“ Gleichzeitig kritisiert Mukadder Bauer den zunehmend autoritären Stil und die neoliberale Wirtschaftspolitik des Premiers.

„Ob seine Partei wohl die letzte Wahl auch ohne stromausfallverursachende Katzen mit 45 Prozent gewonnen hätte?“, fragt sich die taz-Leserin Christina Richter. Überhaupt sei ein Mann, der einst zu lebenslangem Politikverbot verurteilt wurde, nicht als Staatsoberhaupt geeignet, findet sie. Die 26-Jährige studiert Deutsch als Fremdsprache und hat Türkei-Erfahrung: Sie pendelt zwischen Jena und Izmir, wo ihr Freund wohnt. Sie hat den Streit per E-Mail kommentiert.

Ozan Ceyhun saß für die Grünen und die SPD im Europaparlament, heute berät er Erdogans Partei AKP. „Ich bedauere zutiefst, dass das Bild von Herrn Erdogan in Deutschland so verzerrt ist“, schreibt er. Erdogan sei der erste türkische Regierungschef, der den Armeniern die Hand gereicht und eine faire Lösung des Zypernkonflikts unterstützt habe. In der Türkei werde nicht mehr gefoltert, die Bevölkerung genieße Menschenrechte und Pressefreiheit. „Als Opfer der Militärjunta weiß ich genau, wovon ich schreibe. Unter Erdogan ist die Türkei eine moderne, soziale Demokratie geworden.“

Auch Hayati Kazanci, Gemüsehändler in Berlin-Kreuzberg, ist ein Fan des Staatschefs. Er lobt unter anderem die Erfolge der Regierung, was die medizinische Versorgung und den Straßenbau angeht. „Doch der Hauptgrund, warum wir Erdogan lieben, ist ein anderer: Er ist ein Mann aus dem Volk, kein abgehobener Intellektueller, ein echter Osmane eben.“

Die Streitfrage diskutieren außerdem Lale Akgün, ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete und Autorin von „Aufstand der Kopftuchmädchen“; Laurent Mignon, Professor für türkische Literatur in Oxford; Eren Güvercin, Autor von „Neo-Moslems. Porträt einer deutschen Generation“ und Ceren Kenar, Journalistin bei der regierungsnahen Zeitung Türkiye - in der taz.am wochenende vom 24./25. Mai 2014.

24 May 2014

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Ruth Asan

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