taz.de -- Gegen Deutschland Fußballgucken: Hummels und Hitler
Schland-Trikots sind verboten, Flaggen auch. Ein Berliner Club bietet trachten- und hymnenfreies Public Viewing an. Antinational ist das trotzdem nicht.
Im Berliner Club [1][About Blank] kann man antinational Fußball gucken. Dieser Satz reicht aus, um im Bekanntenkreis eine große [2][Patriotismusdebatte] anzustoßen. „Es ist okay die deutsche Mannschaft gut zu finden“, „...die deutsche Fahne gut zu finden“, „...Deutschland gut zu finden“, sagen selbst links-dogmatische Attacmitglieder.
Auch auf der [3][Facebookseite der Veranstaltung] der „Spiele gegen Deutschland“ gibt es auch eine Diskussion, aber in eine andere Richtung. Etwa so: „Da rufen Tausende Menschen in Brasilien dazu auf, diese verdammte Scheiß-WM zu boykottieren und ihr, die ihr euer tolles antinationales Selbstverständnis habt bewerbt diesen Mist trotzdem.“ Oder: „Scheiß-WM. Für mehr Solidarität mit den Kämpfenden in den Favelas.“
Rund 150 Leute kommen trotzdem, die das Spiel Deutschland gegen Portugal im About Blank sehen wollen. Der Club verspricht „Trachten- und hymnenfreien Fußballgucken im antinationalen Ambiente“. Flaggen, Trikots und andere Symbole sind verboten. Allerdings auch die Israelflagge, die eine antideutsche Begleitung mitbringen wollte. Statt Fähnchen hängen im Garten des About Blanks bunte Kunstblumen.
Während der Hymnen wird der Ton ausgeschaltet. Für den ARD-Kommentator wird der Ton wieder angedreht, der mehrmals von Deutschland in der ersten Person Plural, im „wir“ spricht. Und als die Werbung auch mit Ton läuft, frage ich mich, wie man es schafft so viele nationale, rassistische und sexistische Inhalte in 30 Sekunden unterschwellig zu transportieren.
Enttäuschte Antideutsche
Als das erste Tor für Deutschland fällt, reißt nur ein Besucher die Hände hoch. „Wer hat das Tor gemacht“, frage ich, „Hummels?“ – „Hitler“, antwortet meine sichtlich enttäuschte antideutsche Begleitung. Nicht, weil Deutschland gewinnt, sondern weil ihr die Veranstaltung nicht antinational genug ist. Dieses „wir“ des Kommentators findet sie scheiße. „Das Gemeinschaftsgefühl soll den Konkurrenzdruck und Zwänge der Leistungsgesellschaft, die man sonst im Alltag hat, vergessen machen“, sagt die Begleitung.
Am Ende steht es 4:0 für „uns“. Zwischendurch haben einige Besucher auch für Deutschland gejubelt – vielleicht auch nur für guten Fußball. Fazit des Guckens im About Blank: Insgesamt locker und undogmatisch mit teuren Getränken.
Danach verschleppt die antideutsche Begleitung uns in eine einschlägige Kneipe in Neukölln, die „antinational“ auch wirklich ernst meint. Am Nebentisch wird ein Besucher mit Schland-Trikot lautstark angepöbelt und rausgeschmissen. Eine Flasche Sternburg-Bier kostet 1,60 Euro. Und an der Bar gibt es für drei abgerissene Autoflaggen, fünf Schnäpse aufs Haus.
17 Jun 2014
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Nach der Einladung von Justizminister Maas zu einem Gespräch reagiert Facebook Deutschland. Fehler bei der Löschung rassistischer Inhalte seien bedauerlich.
Das letzte WM-Spiel in Gruppe C war ein echter Krimi. Zwei Berliner Dragqueens konzentrierten sich beim Wadengucken auf andere Dinge.
Die WM-Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen: Gnadenlose Begeisterung und fehlende Kompetenz. Und Scholl ist nicht besser als Kahn.
Nach dem Auftaktsieg feiert die Presse die deutschen Spieler. Die üben sich nun in Zurückhaltung. Ein klassischer Fall von Understatement?
Fußball kann tief gehen, wenn das Geschrei, Geschimpfe und die Besserwisserei wegfallen. Das zeigt sich beim Public Viewing des Hamburger Blindenvereins.
In der deutschen Strandbar „Tor“ nahe der Copacabana wird in praller Sonne Freibier gesoffen und Deutschland gegen Portugal geguckt. Die taz war dabei.
An der Copacabana gucken 20.000 Fans das Auftaktspiel. Parallel kommt es in mehreren Städten zu Verletzten, Festnahmen und Tränengaseinsätzen.
Das deutsche Team ist raus. Aber es wird wiederkommen. Was auch wiederkommen wird: die Deutschland-Fahnen. Aber darf man das, für Deutschland sein?