taz.de -- WM-Kolumne Ordem e Progresso: Die Kolportage des Unheilvollen
Salvador da Bahia ist eine spezielle Stadt. Wer sie zu Fuß durchwandert, findet urbanen Verfall. Hier verdichten sich die Probleme Brasiliens.
„Was für ein Drecksloch Salvador doch ist“, sagte neulich ein Kollege, der aus dem Paradies kam, aus Santo André, dem Lager der deutschen Nationalmannschaft am Atlantik. Andere klagen über ihr Hotel, das in einem wenig pittoresken Viertel der Stadt steht, und wo sie, wenn sie aus dem Eingangsportal treten, von Obdachlosen empfangen werden.
Salvador, das muss man sagen, ist eine spezielle Stadt. Als im Jahr 2012 die Militärpolizei streikte, gab es innerhalb von nur einer Woche 90 Morde. Etliche Supermärkte wurden geplündert. Im Ranking der gefährlichsten Städte der Welt rangiert Salvador da Bahia unten den Top 15.
Ein historisches Stadtviertel hat man für die Touristen schön hergerichtet, die Straßen um den Pelourinho. Drumherum haust ein Heer von Ausgestoßenen und Chancenlosen in ihren Hütten. Die Kolonialbauten der portugiesischen Eroberer verfallen zum Großteil. So manche Barockkirche bietet in ihrer Baufälligkeit ein Bild des Jammers. Was könnte man alles aus dieser Stadt machen, wenn genug Geld vorhanden wäre.
Aber der Verfall von Salvador scheint unaufhaltsam. Da hilft es wenig, wenn jetzt vor der WM viele Straßen neu geteert wurden, nach 14 Jahren Bauzeit endlich ein Teilstück der Metro eingeweiht wurde und es auch ein modernes Stadion gibt im Zentrum der Stadt.
In Salvador verdichten sich die Probleme Brasiliens. An vielen Ecken wird offen Gras und Crack verkauft. Die Sicherheitslage könnte besser sein. Es ist ratsam, bestimmte Wege nur mit dem Taxi zu erledigen. Das musste auch Ilija Trojanow erfahren, der im vergangenen Herbst auf Einladung des Goethe-Instituts Stadtschreiber in Salvador war. „Es gibt Topographien der Sicherheit, die werden einem extrem antrainiert“, sagte er mir in einem Gespräch vor meiner Abreise nach Brasilien.
„Ich wurde immer wieder von Einheimischen gewarnt, mich durch bestimmte Viertel nicht zu Fuß zu bewegen. Mir persönlich ist nichts passiert, aber es kursieren immer viele Geschichten. Das ist mehr eine Frage des Gefühls, einfach nicht so angenehm.“ Trojanow ist kein Angsthase. Der „Weltensammler“ lebte in Nairobi und Indien.
Und doch braucht die Angst, das wusste schon Freud, kein konkretes Objekt, um sich auszubreiten. Die Kolportage des Unheilvollen reicht völlig. Wir bewegen uns indes immer souveräner durch diesen irrgartenartigen Moloch von Stadt. Auch zu Fuß.
Neulich versuchten wir uns vom Stadtteil Graca zum Pelourinho durchzuschlagen, erblickten einen ebenso großartigen wie heruntergekommenen Klosterkomplex auf einem Hügel, steuerten darauf zu – und landeten in einer abseitigen Gasse. Ein Bewohner lief auf uns zu. Hier seien viele „Vagabundos“, Tunichtgute, sagte er gestenreich, wir sollten lieber umkehren. Was wir dann auch taten.
20 Jun 2014
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