taz.de -- WM-Kolumne Ordem e Progresso: Jeder Tag ein Verlustgeschäft
2.200 Euro Miete pro Monat. Für 38 Quadratmeter. In Rio ein Spottpreis. Freundschaftsdienst. Bei 1.000 Euro Gehalt braucht es trotzdem neue Geschäftsideen.
RIO DE JANEIRO taz | Also die Argentinier vielleicht nicht. Aber sonst überlegen ja alle tausend Touris hier im Haus, wie wir die ganze Kohle wieder reinkriegen. Ich glaube, der Chinese macht es am besten.
Ich habe heute gerechnet, so von wegen Qualitätsjournalismus und so, und das hätte ich besser nicht gemacht. Ich zahl hier in Rio 2.200 Euro Miete für einen Monat und das ist schon ein exquisiter Superfreundschaftspreis, weil mir die Freundin einer Freundin meiner Mutter ihre Wohnung zu diesem Spottpreis überlässt und es sind ja auch nur 38 Quadratmeter.
Dagegen jetzt die 947,46 Euro netto, die derzeit pro Monat von der taz kommen, das heißt, dass ich 31,52 Euro am Tag verdiene, aber 73,33 Euro am Tag für Miete ausgebe. Oder, wenn man es anders rechnet: Dass am 13. Juni schon mein ganzes Monatsgehalt abgewohnt war und ich, jetzt mal kalkulatorisch, noch gar nichts gegessen habe. Aber ich habe natürlich trotzdem etwas gegessen.
Das ganze Haus hier ist im Moment an Gringos wie mich vermietet und hat zwölf Etagen und jede hat acht Wohnungen, das sind ja fast hundert Wohnungen und alle sind so scheißteuer und manche ja sogar noch teurer, weil eben keine Freundin von einer Freundin von einer Mutter dazu gehört.
Zu wertvoll zum Rausgehen
Für die vermögenden Brasilianer mit Immobilienbesitz in Rio sind diese Wucherpreise natürlich prima, aber für mich heißen sie, dass ich meine düstere Miniwohnung eigentlich gar nicht verlassen darf, weil sie so wertvoll ist, und ich mit jedem Tag, an dem ich arbeite, ein Verlustgeschäft mache, dass ich also im Moment noch mehr in die Pressefreiheit investiere als ohnehin schon und dass ich demnächst extrem krasse Dispozinsen zahlen muss, weil ich zwar ein Jahr gespart habe, aber immer noch nicht genug, und das alles für die Fifa und die Leute, die hier Wohnungen besitzen und natürlich auch für mich, um die Demos zu sehen und die Fußballspiele.
Der einzige, der es richtig macht, ist der Chinese, der vor drei Tagen ins Elfte gezogen ist und immer im Trikot rumläuft, obwohl seine Mannschaft gar nicht mitspielt.
Vorgestern wurden um die hundert Bettdecken made in China angeliefert, alle so aus Acryl oder Fleece oder Fleeceacryl, falls das nicht das gleiche ist. Die meisten Decken sind pink. Der Chinese verbrachte den ganzen Tag damit, die Decken in seine Wohnung zu bringen. Acryldecken – das ist eine saugeile Idee, weil die Brasilianer ja meist nur dünne Leinenlaken benutzen, um sich zuzudecken und da frieren jetzt natürlich alle Gringos im ganzen Haus, außer den Argentiniern, die schlafen ja eh nicht, weil sie entweder weg sind oder feiern oder beides.
Immer wenn der Chinese durchs Treppenhaus läuft, hat er ein paar Acryldecken unterm Arm. Ich will ja gar nicht wissen, was jetzt die Decken kosten, aber eins weiß ich: Entweder bring ich beim nächsten Mal tausend Kilo Schwarzbrot mit und mache so ein Bombengeschäft auf oder ich mach’s wie die Argentinier: Immer nur weg sein oder feiern oder beides.
15 Jun 2014
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