taz.de -- Kommentar schwule Nationalspieler: Die vorerst letzte Chance

Homosexualität im Fußball ist nach wie vor ein Tabu. Im Halbfinale der WM stehen mindestens fünf schwule Männer auf dem Platz – statistisch gesehen.
Bild: Knutschende Profis von Manchester United: Schwul sind die beiden aber nur mit einer Wahrscheinlichkeit von fünf Prozent.

An den Spielerfrauen kommt man während der WM einfach nicht vorbei. Über sie wird fast mehr diskutiert als über die Spieler selbst: Wer ist die Schönste? Wer ist die Dümmste? Wer ist die Zickigste? Die Spielerfrauen werden nach Porto Seguro geflogen, schaut her! Spielerfrauen, Spielerfrauen…

Da kommt nur noch eine Frage auf: Wo sind die Spielermänner? Die gibt es nicht, offiziell. Denn der originäre, vor Potenz strotzende Fußballnationalspieler ist natürlich hetero – und nachdem er das klargestellt hat, spuckt er lässig auf den heiligen Rasen. Ganz Mann sein, bedeutet, nicht schwul zu sein. So hat es Mutter Fifa den Fußballern beigebracht. Der Weltfußballverband hat 1981 sogar freundschaftliches Küssen unter Fußballern während des Spiels vorübergehend verboten. Er bewertete es als „unmännlich, übertrieben, gefühlsbetont und deshalb unangebracht.“, wie der Journalist Christian Eichler in seinem Buch „Lexikon der Fußballmythen“ dokumentiert.

Und auch heute noch ist Homosexualität im Fußball ein absolutes Tabu. Wo sind die gegenseitigen motivierenden Klapse auf den Po? Heute will wohl kein Spieler mehr das Schwulenradar auf sich lenken. Und trotzdem: Es gibt sie – Schwule in den Nationalmannschaften des Viertelfinales. Mit Deutschland, Brasilien, Argentinien und Niederlande sind noch 92 nominierte Männer im Spiel – insgesamt 23 pro Mannschaft.

Mit geschätzten fünf Prozent Homosexuellen weltweit dürften statistisch gesehen fünf Spieler der noch übrig gebliebenen Mannschaften schwul sein. Ein bis zwei davon unter den deutschen Nationalspielern. Wichtig ist: Für die Spieler wäre dieses Jahr die vorerst letzte Chance, sich als schwul zu outen – zumindest in der einfachen Variante. Denn während Homosexualität in Brasilien seit 1823 legal und somit nur noch eine Sache der Toleranz ist, scheitert sie in anderen Ländern sogar an offiziellen Gesetzen.

Haftstafen drohen in Katar

Dabei stellt sich die Frage, ob offen schwule Fußballer überhaupt für künftige Weltmeisterschaften aufgestellt würden? Schließlich müssten sie in homophoben Ländern wie Russland (WM 2018) oder Katar (WM 2022) Haftstrafen fürchten. Für so manchen Spieler ein ausreichender Grund zu schweigen. Für so manchen Bundestrainer ein zu großes Risiko. Da wäre die Lösung: ein Coming-out während der nächsten Weltmeisterschaften in Russland oder Katar. Das wäre sicher gefährlich, aber zugleich unschlagbar in seiner Wirksamkeit.

Fest steht: Es muss etwas getan werden. Aber die altbackene Fifa sieht sich anscheinend immer noch nicht in der Verantwortung. Zur Diskriminierung homosexueller Fanclubs in den künftigen Gastgeberländern äußerte sich der Präsident Sepp Blatter 2011 mit Gelächter: „Ich denke, sie sollten bei der WM jegliche sexuellen Aktivitäten unterlassen.“ Für Blatter hat Homosexualität keinen Platz im Fußball. Profifußballer müssen wohl selbst aktiv werden. Und klar, man will einen Namen hören, ein Gesicht sehen.

Aber eigentlich geht es nicht um den Spieler. Auf dem Spielfeld macht schwul, bi oder hetero keinen Unterschied. Auf der Tribüne aber schon. Von dort aus jubeln nämlich die Spielerfrauen. Und seit Wochen nerven alle Medien mit der Frage, welche von ihnen am sexiesten ist. Darauf gibt es nur eine Antwort: Die sexieste Spielerfrau wäre der erste Spielermann.

6 Jul 2014

AUTOREN

Anne Dittmann

TAGS

WM 2014
Homosexualität
Homophobie
Katar
Russland
Tim Cook
Homosexuelle
Katar
Fußball
WM 2014
Fußball-WM 2014
Homosexualität im Profisport
Sotschi 2014

ARTIKEL ZUM THEMA

Kommentar Coming-Out von Tim Cook: Gegen das wohlfeile Gelaber

Apple-Chef Tim Cook erklärt, wie schön er es findet, schwul zu sein. Das ist doch egal, jeder soll lieben, wen er will, sagen Sie? Von wegen!

Homosexuelle in Deutschland: Kapitalismus pink lackiert

Die CSD-Saison nähert sich ihrem Ende. Und wie steht die homosexuelle Bewegung da? Statt rosa Revolte, politisch ganz schön abgeschlafft.

Ladyboy in Katar: Endlich Frau werden

Zoe hat ein riskantes Geschäftsmodell: Um sich eine Geschlechtsumwandlung zu finanzieren, schafft der Ladyboy in Katar an und schläft mit Männern.

Hitzlsperger über Homosexualität im Sport: „Besser als vorher“

Thomas Hitzlsperger spricht in Berlin über persönliche Erfahrungen nach seinem Outing. Wichtig für ihn waren die Reaktionen abseits der Öffentlichkeit.

Der nackte Po des Fußballers: Mit Kroatiens Nationalteam am Pool

Kroatiens Spieler gönnen sich ein wenig Freikörperkultur. Das Problem: Im Gebüsch saß ein Paparazzi. Bericht einer Bildersuche.

WM-Kolumne Ordem e Progresso: So werden wie Dante

In Salvador, dem schwarzen Herzen Brasiliens, lebt die Begeisterung für den Fußball. Hier will man sich zeigen auf der Bühne des Weltfußballs.

Gareth Thomas über sein Coming-out: „Rugbyfans sind ehrlicher“

Die Gesellschaft hat stereotype Vorstellungen von Sportlern, findet der walisische Ex-Nationalspieler. Sein Outing habe sich positiv auf's eigene Leben ausgewirkt.

Schwul-lesbische Spiele in Moskau: Unter Beobachtung

Nach den Winterspielen soll in Moskau ein Sportfest von Schwulen und Lesben stattfinden. Wenn die Behörden nicht alles verhindern.