taz.de -- Proteste gegen Gazakrieg: „Ablehnung ist die Klammer“
Mitten in die Debatte über Antisemitismus im Nahost-Konflikt fällt am Freitag die Al-Quds-Demo. Nichts vereine mehr als der Hass auf Israel, sagt der Autor Jan Riebe.
taz: Herr Riebe, am Freitag findet auf dem Ku‘damm die Al-Quds-Demo statt. Was ist der Hintergrund dieses Marsches?
Jan Riebe: Der Al-Quds-Tag ist im Iran ein Feiertag, der auf Ayatollah Chomeini zurückgeht. Er rief 1979 erstmals alle Muslime weltweit dazu auf, für die „Befreiung“ Jerusalems auf die Straße zu gehen. „Befreiung“ bedeutet in diesem Zusammenhang nichts anderes als: Der Staat Israel muss verschwinden.
Rechnen Sie mit antisemitischen Parolen, wie sie zuletzt auf propalästinensischen Demos zu hören waren?
Die Veranstalter des Al-Quds-Marsches haben bisher großen Wert darauf gelegt, nicht als antisemitisch zu erscheinen. Sie versuchen, die Auflagen der Polizei zu erfüllen. Ob sie die Menschen, die zum Marsch auftauchen, unter Kontrolle haben, vermag ich zwar nicht zu sagen. Ich vermute aber trotzdem, dass aufgrund der Sorge ums Image keine volksverhetzenden Sprechchöre oder Übergriffe von der Demonstration ausgehen werden.
Welchen Einfluss hat die aktuelle Situation in Nahost auf den diesjährigen Marsch?
Der Al-Quds-Marsch war schon immer antisemitisch und antiisraelisch. Ob die aktuellen Entwicklungen im Nahost-Konflikt den Charakter der Veranstaltung prägen, ist jedoch fraglich. Schließlich ist der Marsch eine schiitische Demonstration, die Hamas ist eine sunnitische Organisation. Für sunnitische Muslime ist das ein gewisses Hemmnis, an der Veranstaltung teilzunehmen. Einige erwarten am Freitag eine Demonstration mit mehr als 1.000 Teilnehmern. Ob tatsächlich so viele Menschen kommen, bezweifle ich.
Welche Gruppen sind am Freitag auf der Straße zu erwarten?
Es werden Menschen aus vollkommen unterschiedlichen Spektren demonstrieren, nicht nur Schiiten und Konvertiten. Auch Verschwörungstheoretiker, Rechtsextreme, antiisraelische Linke und Antiimperialisten werden zugegen sein. Seit Jahren beteiligen sich sogar Vertreter einer orthodoxen jüdischen Sekte. Sie glaubt, dass es den Staat Israel so nicht geben dürfe, sondern erst dann, wenn der Prophet wiedergekehrt sei.
Gibt es zwischen diesen antagonistischen Kräften auf einer Demonstration keine Konflikte?
Kein Thema eint in Deutschland über so viele Grenzen hinweg wie die Ablehnung Israels. Diese Ablehnung ist die Klammer, die diese Gruppen zusammenhält. Auch wenn im Vorfeld mit antisemitischen Botschaften für den Marsch mobilisiert wird, hält das beispielsweise Linke nicht davon ab, daran teilzunehmen.
Gegen Nazi-Aufmärsche gehen Tausende auf die Straße.
Bei Demonstrationen gegen Nazis wissen die Leute genau, gegen was sie protestieren. Gegen den Al-Quds-Tag zu mobilisieren ist wesentlich komplizierter. Erstens kennen viele Menschen Inhalt und Hintergründe nicht. Manche Linke und Liberale haben sie gar nicht auf dem Schirm. Andere erkennen deren antisemitischen Charakter nicht.Zweitens sind es vorwiegend Menschen mit Migrationshintergrund, die am Al-Quds-Tag marschieren. Viele befürchten, als rassistisch zu gelten, wenn sie gegen die demonstrieren.
23 Jul 2014
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