taz.de -- Antisemitismus in Deutschland: Gazakrieg wühlt deutsche Juden auf
Zentralrat der Juden fordert von Muslimen mehr Einsatz gegen Antisemitismus. Der Publizist Grosser wirft jüdischen Verbänden blinde Parteinahme für Israel vor.
BERLIN epd | Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, wirft den muslimischen Verbänden vor, nicht genug gegen Antisemitismus zu tun. „Sie versprechen es, aber konkrete Schritte muss man mit der Lupe suchen“, sagte Graumann der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland verwahrt sich gegen diesen Vorwurf. Ihr Vorsitzender Aiman Mazyek verwies darauf, dass man sich in den islamischen Gemeinden in den Freitagsgebeten und im Austausch mit Jugendlichen sehr wohl mit Antisemitismus auseinandersetze. Mazyek mahnte aber auch an, klar zwischen Kritik an der israelischen Kriegspolitik und Antisemitismus zu unterscheiden.
Auf Demonstrationen gegen den Gazakrieg waren in den vergangenen Wochen auch judenfeindliche Parolen laut geworden. Zudem werden arabischstämmige Jugendliche verdächtigt, einen Anschlag auf die Synagoge in Wuppertal-Barmen verübt zu haben. Viele Juden in Deutschland seien deshalb stark verunsichert, sagte Graumann.
Die Kirchen haben deshalb jetzt zum Widerstand gegen Antisemitismus aufgerufen. In Frankfurt forderte der katholische Stadtdekan Johannes zu Eltz in seiner Predigt am Sonntag im Frankfurter Kaiserdom die Gläubigen eindringlich auf, die jüdische Gemeinde und ihre Mitglieder konkret zu unterstützen und sich „offensiv vor sie zu stellen“. Wer Juden in Frankfurt angreife, greife die Katholiken Frankfurts an, sagte zu Eltz.
Der deutsch-französische Publizist Alfred Grosser dagegen kritisierte am Sonntag im Deutschlandfunk auch die jüdische Gemeinden in Deutschland und Frankreich. „Das Schlimme ist die ständige totale Identifikation mit Israel, auch wenn Israel momentan große Kriegsverbrechen begeht“, sagte der französische Politologe, der 1925 als Sohn eines jüdischen Arztes in Frankfurt am Main geboren wurde und mit seinen Eltern nach Frankreich emigrierte. Ähnlich hatte sich zuvor schon der Lübecker Psychologe Rolf Verleger geäußert, der lange Mitglied im Direktorium des Zentralrats der Juden war, bevor er wegen dessen Haltung zu Israel zurück trat.
In Berlin und vielen anderen deutschen Städten, darunter Aachen, Mönchengladbach und Hagen, haben am Wochenende wieder mehrere hundert Menschen für ein Ende der Kämpfe im Gazastreifen demonstriert. Antijüdische Parolen wurden dabei nicht skandiert. Auch in Düsseldorf und Köln waren für Sonntag weitere Demonstrationen geplant.
3 Aug 2014
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Mit 99 Jahren ist der Politologe Alfred Grosser verstorben. Kein anderer setzte sich so beharrlich für die deutsch-französische Annäherung ein.
Antisemit ist nicht, wer Israels Politik kritisiert, sagt Rolf Verleger, Psychologe aus Lübeck: Den Groll gegen die Juden befördert, wer jede Kritik unterbindet.
Drei Palästinenser werden vom Amtsgericht Wuppertal zu Bewährungsstrafen verurteilt. Sie hatten Brandsätze auf eine Synagoge geworfen.
Drei Palästinenser gestehen den Brandanschlag auf die Synagoge im Juli 2014. Von einem antisemitischen Hintergrund wollen sie nichts wissen.
Islam? Seit den archaischen IS-Angriffen im Irak geht es nur um männliche Themen. Es ist Zeit, über moderne, junge Musliminnen zu reden.
Ein Brandanschlag auf eine Moschee in Bielefeld versetzt die Gemeinden in Unruhe. SPD-Chef Gabriel will am Samstag einen Brandort in Berlin besuchen.
Derzeit wird Antisemitismus in Deutschland oft den „nicht Herkunftsdeutschen“ zugeordnet. Das zeigt, wie hierzulande Erinnerung verhandelt wird.
In Ungarn werden Puppen israelischer Politiker aufgeknüpft. Jetzt wird gegen einen Rechtsradikalen ermittelt – und das auch erst nach israelischem Protest.
Seit Wochen kommt es immer wieder zu Ausschreitungen auf propalästinensischen Demonstrationen. Einige Juden überlegen, Deutschland sofort zu verlassen.
Die Palästinenser behaupten, dass der der israelische Beschuss trotz Waffenruhe fortgesetzt werde. Die USA sollen an den bisherigen Angriffen beteiligt gewesen sein.
Auf Demonstrationen die Nationalflagge Israels zu schwenken, hilft nicht gegen Antisemitismus. Wichtiger wäre ein Einsatz gegen Rassismus jeder Art.
Unter US-amerikanischen Juden – und in der breiteren Öffentlichkeit – wächst die Kritik an der Politik Israels, sagt Nahost-Expertin Phyllis Bennis.
Im jüngsten Konflikt schlägt sich die Bundesregierung auf die Seite Israels. Experten halten das für wenig geeignet, um die Kämpfe zu beenden.
Sich als Jude in Deutschland von Israel distanzieren? Schwierig, sagt Alex Pen. Dennoch seien viele Linke in der israelischen Community Berlins beschämt über den Krieg.
"Klein-Jerusalem" wird Sarcelles genannt, weil dort Juden, Muslime und Christen zusammenleben. Die antisemitischen Ausschreitungen schockieren sie.
Trotz der Übergriffe auf Pro-Israel-Demonstranten in Deutschland glaubt Lamya Kaddor nicht, dass der muslimische Antisemitismus hierzulande erstarkt.
Gegen den Krieg? Oder gegen die Juden? Teilnehmer propalästinensischer Demonstrationen sorgen mit zweifelhaften Parolen für Diskussionen.