taz.de -- Nachrichten von 1914 – 7. August: Die Kriegstrauung
Eine Kriegerbraut erzählt in Berlin ihren Freundinnen von ihrer Trauung. Ihr Mann ist schon an der Front, den Hochzeitsabend verbringt sie ohne ihn im Park.
Ich wusste ja schon vorher, was die „Kriegstrauung“ ist: im Falle der Mobilmachung ein beschleunigtes Verfahren ohne Aufgebot. So lautet die Formel. Aber was eine Kriegstrauung wirklich ist, das hab‘ ich erst gestern begriffen, in dem kleinen Parke bei der Alt-Moabiter Kirche.
Ganz ruhig ist es dort in den späten Abendstunden. Von der Turmstraße dringt der Lärm des Verkehrs nur schwach herüber. Die Beleuchtung ist dort spärlich. Alles gedämpft, wie im Halbschlaf oder vielmehr: wie halbes Leben. In einer Seitenallee dieses Volksparkes lasse ich mich auf eine Bank nieder. Am anderen Bankende sitzt ein junges, blondes Mädchen, an die Lehne geneigt, regungslos, den ernsten Blick vor sich hin gerichtet. Die andere Hälfte ihres Lebens ist von ihr genommen, ist dort draußen irgendwo in Ost oder West. So sitzt sie dort, wie Tausende in diesen Tagen.
Ein anderes junges Mädchen kommt, eine Brünette, und lässt sich neben der Regungslosen, der Blonden nieder. Sie begrüßen sich kurz. Die Brünette fragt: „Ist er schon fort?“ Die Blonde nickt ganz schwach mit dem Kopf. Beide schweigen wieder. Dann fragt die Brünette: „Das hast Du Dir auch anders vorgestellt, den Hochzeitsabend?“ Die Blonde fährt sich leicht über die Augen und starrt weiter hinaus in das Halbdunkel.
Eine ältere Frau, eine Aufwartefrau, begrüßt die beiden Mädchen, aber wie sie zu der Blonden „Fräulein Anna“ sagt, wirft die Freundin hin:
„Sie ist nicht mehr Fräulein. Sie hat heute Vormittag geheiratet.“ Die Frau ist erstaunt. Davon habe sie gar nichts gewusst. Und gestern habe die Anna ja noch gar nichts erzählt …
Ja, gestern meinte die Freundin, gestern habe es die Anna selbst noch nicht gewusst. … Das sei so plötzlich gekommen. Kriegstrauung.
Eine kleine Pause, dann schüttelte die Frau den Kopf und sagte, das hätte die Anna nicht tun sollen. Heiraten soll man nicht über Hals und Kopf. Ob sie denn ihren Bräutigam gut gekannt habe? Die blonde Anna, die Kriegsbraut, antwortete nicht, aber die Freundin erzählt: Die Anna und der Karl kennen sich schon drei Jahre. Er sei im vorigen Jahre vom Militärdienst heimgekommen, und zu Weihnachten haben sie heiraten wollen. Und weil man zum Heiraten so viel Geld brauche, habe er über den Sommer auswärts Stellung genommen, um mehr zu verdienen und die Anna, die ja auch eine Stelle habe, hat während der drei Jahre auch gespart, und da hätte sie schon zu Weihnachten heiraten können ... Aber heute Vormittag um neun Uhr sei der Karl plötzlich in Uniform zu ihr in die Küche getreten, sie müssen sofort heiraten. Um zwölf reise er ab ... und um elf Uhr waren sie verheiratet.
Die Alte schüttelte bedächtig den Kopf. Ob denn das so geeilt habe? Sie hätte doch bis Weihnachten warten können, da sei der Krieg sicher schon vorüber und da wisse sie wenigstens, ob … die Freundin sagt: Ja, aber der Karl sei so schrecklich eifersüchtig gewesen und er hätte keine ruhige Stunde draußen im Felde gehabt, wenn sich die Anna geweigert hätte, gleich die Seine zu werden. und das habe die Anna doch dem armen Jungen nicht antun können.
Anna, die Kriegsbraut, hört alles, was gesprochen wird, aber sie antwortet nicht, und nur ihre Stirn legt sich in Furchen. Die Frau kann dies alle noch nicht begreifen. Sie schüttelt wieder den Kopf und sagt:
„Ja, aber wenn ihm jetzt im Kriege etwas passiert und er als Krüppel zurückkommt, was hat denn ein junges Mädchen von einem Mann, der ein Krüppel ...“
Da schnellte die Anna auf. Sie will etwas sagen, kann aber vor Erregung nicht sprechen. Da speit sie vor der Frau aus und läuft davon, während ihr ganzer Körper zuckt. Die Freundin erhebt sich wütend, sagt: „Schämen Sie sich, so etwas zu sagen!“ und eilt der Anna nach.
Die Frau bleibt erstaunt sitzen, schüttelt den Kopf und kann nicht immer nicht verstehen, wie ein junges Mädchen so etwas tun kann.
Ich aber habe da begriffen, was eine Kriegstrauung ist, und welche Heldinnen sie sind, die da einsam den Hochzeitsabend feiern.
Quelle: Berliner Tageblatt
7 Aug 2014
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