taz.de -- Debatte Landtagswahl in Sachsen: Bloß keine Nestbeschmutzer
Das südöstliche Bundesland gibt sich gern selbstverliebt. Dieser Patriotismus wird von Parteien jeglicher Couleur auch noch gestützt.
In Sachsen geht ein Wahlkampf zu Ende, der keiner war. [1][Die CDU-geführte Regierung] hat den Wahltermin bewusst aufs Ferienende gelegt, um echter politischer Auseinandersetzung zu entgehen. So kämpften die Wahlkämpfer in den Sommerferien vor allem gegen ein kollektives Aufmerksamkeitsdefizit. Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) verweigerte sich dem offenen Schlagabtausch eines TV-Duells, was einmal mehr sein paternalistisches Demokratieverständnis bloß legte.
Wenige Tage vor der Wahl verengt sich die Kernbotschaft dieses inhaltlich entkernten Wahlkampfes parteiübergreifend auf ein einziges großes Thema: Sachsen. Dass selbst die Opposition dem grassierenden Landes-Patriotismus huldigt, ist schon vor der Wahl ein Triumph für Tillich und die CDU. Erst kommt die Liebe zum Land. Dann lange nichts.
Die FDP zum Beispiel hat versucht, dem Untergang durch die anbiedernden Parolen „Verliebt in Sachsen“ und „Sächsisch stark“ zu entgehen. Selbst die Linke traut sich Kritik nur auf dem Boden des gemeinsamen Nenners kollektiver Identität zu: Der landesweit grassierenden Fremdenfeindlichkeit setzt sie den Slogan „Sächsisch und weltoffen“ entgegen. Und belegt damit unfreiwillig die Gegensätzlichkeit der beiden Schlagworte. Die Linke kann gleichwohl für sich verbuchen, dem Wähler noch am ehesten konkrete Inhalte angeboten zu haben. Im Gegensatz etwa zu den Grünen, die im Sound moderner PR-Sprache säuseln: „Denn es ist möglich“. Was auch immer.
SPD-Kandidat Martin Dulig hat immerhin versucht, auf Missstände im Bildungsbereich und bei der Ausstattung der Polizei hinzuweisen. Kurz vor der Wahl lässt aber auch er großformatig plakatieren: „Für Sachsen“.
Sachsen überall
Sachsen ist in Sachsen allgegenwärtig. Morgens werden Radio-Hörer mit dem „Sachsen-Wetter“ belästigt. Als Mineralwasser gibt es „Sachsen-Quelle“. Ein großes Volksfest lädt zum „Tag der Sachsen“. Diese heimattümelnde Dauerberieselung leistet einer künstlichen Identität Vorschub, die Herkunft zum wichtigsten Merkmal erhebt. Am Leipziger „Minarett-Streit“ um den geplanten Bau einer Moschee kann man ablesen, dass dieses sächsische Selbstverständnis leicht mit einem krassen Toleranzdefizit einhergeht.
Die CDU hat es seit Kurt Biedenkopf erfolgreich verstanden, das Land zu vereinnahmen. Die CDU ist Sachsen und Sachsen ist CDU. Das erinnert an Bayern, aber auf dem sächsischen Sonderweg geht es geräuschloser zu. Während die CSU ihre Vormachtstellung immer noch gern kraftstrotzend zur Schau stellt, lullt Tillichs CDU ihr Land mit Fürsorglichkeit ein. Die Kernbotschaft lautet: Ihr werdet gut regiert und braucht euch nicht darum zu kümmern. Sämtliche CDU-Kandidaten werben auf Plakaten: „Mit Mut. Mit Weitsicht. Miteinander.“
Bloß keine Kritik
Dieses diskursfeindliche Klima setzt sich bis in die Kommunen fort und macht zivilgesellschaftlichen Initiativen das Leben schwer. Wer Teilhabe einfordert und sich gegen Neonazis engagiert, wird schnell als Nestbeschmutzer denunziert.
Eine Mehrheit in Sachsen hat offenbar die Sicht der Landesregierung verinnerlicht: Es läuft gut in Sachsen. Die sozialen und gesellschaftlichen Missstände werden nicht der Regierung angelastet. Zwar demonstrieren Erzieher für einen besseren Kita-Schlüssel, und Lehrer streiken regelmäßig für bessere Arbeitsbedingungen. In der öffentlichen Wahrnehmung bleibt Sachsen der Pisa-Musterschüler. Wer das kritisiert, gerät in den Verdacht, das Land schlecht zu reden.
NSU? Kann warten
Selbst Skandale, die überregional Aufsehen erregen, bleiben politisch folgenlos. [2][Die illegale Funkzellenabfrage durch die Ermittlungsbehörden während der Dresdner Anti-Nazi-Demonstrationen] beschäftigte die überregionalen Medien sehr viel stärker als die einheimischen. Auch die ineffiziente Arbeit des sächsischen NSU-Untersuchungsausschusses ist in Sachsen kein Thema. Während Thüringen gerade einen akribisch erarbeiteten [3][Abschlussbericht] mit aufsehenerregenden Schlussfolgerungen vorgelegt hat, haben die sächsischen Kollegen unter CDU-Vorsitz die meisten der vorgesehenen Zeugen noch gar nicht vernommen.
Und es steht nicht fest, ob die Arbeit in der neuen Legislaturperiode überhaupt fortgesetzt wird. Lange nannten Regierungsvertreter die in Sachsen untergetauchten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt das „Jenaer-Terror-Trio“ und luden so alle Verantwortung auf Thüringen ab. Der sächsische CDU-Innenminister Markus Ulbig hat sich früh darauf festgelegt, dass die eigenen Behörden keinerlei Schuld an dem Sicherheitsdesaster tragen. Diese absurde Deutung herrscht bei Verantwortlichen bis heute. Die Opposition tut sich schwer, das Versagen anzuprangern. Mit dem Thema Neonazis lassen sich keine Stimmen gewinnen.
Geschmacklose Einladungen
Die Wahl am Sonntag wird an diesen Zuständen nichts ändern. Die CDU wird weiter regieren, selbst wenn die FDP wie erwartet aus dem Landtag fliegen sollte. Sollte Tillich die absolute Mehrheit verfehlen, stünden sowohl SPD als auch Grüne und sogar die AfD als Partner bereit. Tillich hat eine Koalition mit der AfD nicht ausgeschlossen, auch wenn die Partei zuletzt durch die geschmacklose Einladung des österreichischen FPÖ-Politikers Andreas Mölzer aufgefallen war. Mölzer wiederum hatte vor einem europäischen „Negerkonglomerat“ gewarnt.
Die AfD scherte aus dem Chor der Sachsen-Liebhaber aus und plakatierte schwarz-rot-golden unterlegt: „Mut zu Deutschland“. Sie könnte mit diesem nationalistischen Alleinstellungsmerkmal ebenso zu den Gewinnern gehören wie die NPD, die bei schwacher Wahlbeteilung auf den erneuten Einzug in den Landtag hoffen darf.
Gegen einen beliebten Ministerpräsidenten zu punkten, ist immer schwer, zumal, wenn er sich nahezu unsichtbar macht. Schon jetzt ist erkennbar, dass die Opposition links von der CDU nicht nennenswert von der Strategie profitieren wird, den Stolz auf Sachsen zur eigenen Argumentationsbasis zu machen. Als Verlierer steht schon vor dem Wahlgang der demokratische Meinungsstreit fest.
31 Aug 2014
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Sie wollten zweistellig werden. Und haben es fast geschafft. Für die AfD und ihre Spitzenkandidatin Petry zahlt sich der Balanceakt am rechten Rand aus.
Die zweitstärkste Partei Sachsens hat auch nach dieser Wahl keine Chance auf die Macht. Gewonnen hat sie nur den Trostpreis.
Die Union gewinnt die Wahl mit knapp 40 Prozent. Doch ihr Koalitionspartner FDP ist raus. Eine mögliche Koalition mit der AfD schließt sie aus.
Alternativ leben: Die Bewohner des Gut Pommritz in Sachsen wollten nach der Wende eine Landkommune aufziehen. Was ist daraus geworden?
Weil sie ihr Verständnis von Liberalismus bei den Freien Demokraten nicht vertreten sehen, wollen ehemalige Parteimitglieder eine Neugründung wagen.
Über Karl Nolle (SPD) stolperten in Sachsen Ministerpräsidenten und andere Amtsträger. Nach der Wahl wird er nicht mehr im Parlament sitzen.
„Ich repräsentiere eine neue SPD“, sagt Martin Dulig selbstbewusst. Gewinnen wird seine Partei am Sonntag in Sachsen trotzdem nicht.
Ein Nazi-Roman aus den USA dient als Beweismittel im NSU-Prozess. Der Autor versteckte einen Mann bei sich, der zur Umgebung des Terrortrios zählt.
In Sachsen, Thüringen und Brandenburg wird gewählt. Scharfe Kontroversen fehlen, auch weil auf Landesebene weniger entschieden wird als früher.
Viele Frauen in Leipzig können sich den Aufenthalt im Frauenhaus nicht leisten, sagt Marlies Sonntag. Sie wünscht sich, dass ein Aufenthalt dort nichts kostet.
In Brandenburg, Sachsen und Thüringen geht es mit der Wirtschaft voran – egal, wer dort regiert. Die Konjunkturprogramme des Bundes halfen.
Die NPD steckt in der Krise, sogar in Sachsen. Jetzt geht’s ums Überleben. Den Ruf der „netten Nachbarn“ hat die Partei verspielt.