taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Einfach nur Irrsinn!

Unfassbar, menschenverachtend. Oder: Wie werde ich eine perfekte Grünen-Twitterin? Eine Analyse der Tweets von Parteichefin Simone Peter.
Bild: Simone Peter – auf Twitter eher punktuell als komplex

Viele Grüne fragen sich: Wie kann ich auf Twitter in 140 Zeichen perfekt kommunizieren? Die Sorge ist ja: Da die digitale Echtzeitanwendung häufig als belangloses Geblubber interpretiert wird, könnte das den komplexen Grünen-Inhalten auch passieren. Wie die Parteispitze sich das so vorstellt, zeigt die Bundesvorsitzende Simone Peter (@peter_simone).

Prioritäres Artikulationsmittel ist demnach das Ausrufezeichen (signum exclamationis). Dieses wird nach Wunsch- und Aufforderungssätzen verwendet und ist damit originär grün und ein Muss! Wie das Wort „muss“ auch. Es „muss“ immer was („Bundesregierung muss“). Oder es „darf“ etwas „nicht“ („Hilfe darf nicht länger verweigert werden!“) Ein Twitter-Peter-Satz aus dem Lehrbuch: „Die Gewalt in Nahost muss so schnell wie möglich gestoppt werden!“ Man beachte die raffinierte Passivkonstruktion, die offen lässt, an welches handelnde Subjekt der moralische Appellativ sich richtet. (Weil: Es gibt ja niemand, der das stoppen könnte, außer die Grüne Weltregierung. Theoretisch.)

Ganz wichtig, um die eigene Verortung zur Welt auszudrücken, sind die Begriffe „betroffen“ und „unfassbar“. Vieles macht Twitter-Peter betroffen, das ist „immer wieder unfassbar“, aber auch die Einstellungsvoraussetzung einer Grünen-Vorsitzenden. Aufschreien ist oberste Parteikultur. „Ja, es ist eine Schande!“ – „Eine Schande, Herr Scheuer“ – „grauenhaft“ – „unwürdig“ – „menschenunwürdig“. Menschenwürdedefizite-Tweets am besten täglich. „Menschenwürde geht anders“, ruft Twitter-Peter oder auch: „Ich sage: Vorrang für Menschenrechte.“ Dazu ein mutiges „Inhumane Flüchtlingspolitik beenden!“ einstreuen. Oder ein kategorisches „Nein zum Antisemitismus!“

Die Regierenden – das meint jetzt mal nicht Ministerpräsident Kretschmann – sind „töricht“, liefern allenfalls „Rohrkrepierer“ und vor allem Grund zum beliebten Schämen-Vorwurf. „Wegducken ist beschämend, Herr de Maizière!“. Wenn selbst ein Ausrufezeichen nicht mehr genug moralischer Stinkefinger ist, dann müssen zusätzlich Versalien ran. „Regierung muss HANDELN!“

Achtung: Es ist ganz wichtig, dass der grüne Twitterer den Kern der Parteimoral versteht; dass man selbst nicht HANDELT, sondern die anderen zum HANDELN auffordert, und im allerschönsten Fall, sich für deren HANDELN schämen kann. Aufgabe der Grünen ist nicht HANDELN, sondern alles schon immer gewusst zu haben. „Grüne Bedenken bestätigt“.

Sehr gut kommen Action-Staccati. „Transparenz!“ – „Einspruch!“ – „Eklat! – „Irrwitz!“ – „Stoppen!“. Statt Argumenten lieber ein saloppes „Einfach nur Irrsinn!#GroKo“. Und wenn alles zu schlimm wird, kann man in grüner Apokalypse-Tradition seufzen: „Keine Zukunft, nirgends“.

Was man aber auf keinen Fall tun sollte; zu fragen: „Wann wachen wir endlich auf?“ Auch wenn Twitter-Peter selbstredend die anderen meint: Ein normaler Mensch wird annehmen müssen, dass sich diese Frage zuvorderst den Bundesgrünen stellt.

11 Oct 2014

AUTOREN

Peter Unfried

TAGS

Twitter / X
Opposition
Simone Peter
Bündnis 90/Die Grünen
Parteitag
Jürgen Trittin
Mittelschicht
Datenschutz
Deutscher Fußballbund (DFB)

ARTIKEL ZUM THEMA

Kolumne Die eine Frage: Stillstand made in Germany

Wird der kommende Parteitag der Grünen ein Durchbruch – oder wieder nur ein egotherapeutischer Murmeltiertag? Es geht ums Regieren.

Kolumne Die eine Frage: Kurz vor der Blutrache

Nach Jürgen Trittins „Waziristan“-Vergleich stellen sich manche Grüne nur noch eine Frage: Was sagt Anton Hofreiter?

Kolumne Die eine Frage: Der schwarze Samstag

Nächste Woche wird Udo Jürgens 80 Jahre alt. Darf man Udo-Jürgens-Lieder singen? Wenn eine Party in Berlin-Kreuzberg eskaliert.

Kolumne Die eine Frage: Silicon DDR

Freiheit ist das große grüne Thema dieser Tage. Was schert Facebook mein Unbehagen mit seinem Datenhunger, Herr von Notz?

Kolumne Die eine Frage: Das kann nur Schweini

Bastian Schweinsteiger ist neuer Kapitän der deutschen Fußballnationalmannschaft. Ist er auch der Richtige für diese Aufgabe?