taz.de -- Gericht entscheidet gegen Anwohner: Flüchtlinge können kommen
Das Verwaltungsgericht Hannover weist die Klage einer Anwohnerin gegen ein Asylbewerberheim ab – Angst vor Nazi-Anschlägen zähle nicht.
GÖTTINGEN taz | Das neue Flüchtlingswohnheim in Hannover-Bothfeld kann zu Ende gebaut werden. Eine Anwohnerin scheiterte gestern vor dem Verwaltungsgericht der Landeshauptstadt mit einer Klage gegen die im vergangenen Jahr erteilte Baugenehmigung (Az. 4 A 491/14).
Zuvor hatte die 4. Kammer des Gerichts bereits einen Eilantrag der Frau abgewiesen. Eine Berufung gegen das Urteil im Hauptsacheverfahren ließ das Verwaltungsgericht gestern nicht zu.
Das Wohnheim wird von der städtischen Immobiliengesellschaft GBH errichtet. Im Bebauungsplan ist das 7.200 Quadratmeter große Grundstück als Spielfläche für den Stadtteil ausgewiesen. Von dieser Vorgabe hatte sich die GBH „befreien“ lassen. Hier setzte die Argumentation der Klägerin an: Eben weil das Gelände als Spielfläche geplant worden sei, hätte keine Baugenehmigung erteilt werden dürfen.
Das Gericht wies das schon aus formalen Gründen zurück. Die Klägerin wohne gar nicht im selben Bebauungsplangebiet und sei deshalb nicht Betroffene, sagte Gerichtssprecher Burkhard Lange der taz. Schon im Eilverfahren hatte sich die Kammer auch inhaltlich positioniert: Weil lediglich ein Drittel des betreffenden Grundstücks zur Bebauung freigegeben worden sei, bleibe auch dann noch genug Platz zum Spielen, wenn das Wohnheim fertig errichtet sei.
Die Klägerin hatte zudem vermeintliche Gefahren sowie unzumutbare Störungen ins Feld geführt, die von einem etwaigen rechtsextremistischen Anschlag auf eine Gasfernleitung am Rande des Grundstücks drohten. Konkret befürchtete die Frau, dass im Falle einer Gasexplosion die Flüchtlingsunterkunft beschädigt werden und herumfliegende Gebäudeteile sie selbst verletzen und ihr Haus in Mitleidenschaft ziehen könnten.
Das Gericht sah auch das völlig anders. Abgesehen von der Unwahrscheinlichkeit eines solchen rechten Angriffs sei der Abstand des Heims zur Gasleitung groß genug. Die Klägerin wiederum wohne 200 Meter von der Unterkunft entfernt und habe somit keinen darüber hinausgehenden Schutzanspruch.
Das Wohnheim im bürgerlichen Stadtteil Bothfeld ist für bis zu 50 Flüchtlinge konzipiert. Sie sollen dort von Sozialpädagogen betreut werden, rund um die Uhr soll ein Pförtner- und Hausmeisterdienst vor Ort sein. So sieht es zumindest das Leitbild zur Flüchtlingsunterbringung vor, das der rot-grün-dominierte Stadtrat beschlossen hat.
In der Nachbarschaft stieß das Vorhaben von Beginn an auf Vorbehalte. Während Zeitungen von „Luxus-Wohnheimen“ und „Asyl-Hotels“ schrieben, sammelte eine Bürgerinitiative hunderte Unterschriften. Einige Bothfelder sorgten sich, dass die Kriminalität steigen und der Wert ihrer Immobilien sinken könnte.
Die CDU vor Ort griff die Bedenken auf und forderte auch in den Ratsgremien mehr Transparenz und Bürgerbeteiligung bei der Suche nach Standorten für Flüchtlingsunterkünfte. Allerdings wandten sich die Christdemokraten gegen eine Klage.
Auf den Rohbau des Wohnheims hatten Unbekannte Ende August einen Brandanschlag verübt. Nach Angaben der Polizei hatte ein Zeuge nachts zunächst Geräusche und Stimmen im Bereich des Bauwerks gehört. Anschließend habe er eine Person wegrennen sehen, einen Knall gehört und Flammen im Bereich des Daches bemerkt.
Durch das Feuer wurde die Dachkonstruktion beschädigt. Die Polizei schätzt den Schaden auf rund 10.000 Euro und ermittelt wegen vorsätzlicher Brandstiftung.
15 Oct 2014
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Mehr als 150 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte wurden 2014 dokumentiert. 38 Mal wurde versucht, Feuer zu legen. Und in 77 Fällen kam es zu tätlicher Gewalt.
Polizisten konnten drei Männer retten, bevor die Flammen übergriffen. Beide Zelte des Flüchtlingscamps brannten anschließend komplett nieder.
150 Asylbewerber leben in einem Viersternehotel am Bautzener Stausee. Die Nachbarn protestieren, den Rechten nützt der Streit.
Die Polizei in München prüft Vorwürfe gegen das Sicherheitspersonal eines Flüchtlingsheims. Die Einrichtung ist seit Wochen überfüllt.
Der Bund erwirtschafte einen Gewinn mit der Unterbringung von Flüchtlingen, sagt Grünen-Experte Christian Kühn. Zahlen müssten hingegen die Kommunen.
Der Europarat erhebt schwere Vorwürfe gegen Griechenland. Dort würden Flüchtlinge unter „desaströsen“ Bedingungen in Polizeistationen untergebracht.
Die Innenbehörde will in Harburg Zelte aufstellen, um Flüchtlinge unterzubringen. Eine Notlösung, sagt die Behörde. Der Bezirk ist nicht einverstanden.
Die Stadt will mehr Flüchtlinge unterbringen, was immer wieder an den Anwohnern scheitert. In Harvestehude organisieren sich jetzt die Befürworter einer Unterkunft.
In Hannovers bürgerlichen Stadtteil Bothfeld, wo 50 Flüchtlinge leben sollen, ziehen Gegner bis vors Verwaltungsgericht – und scheitern.
In Bremen diskutieren die Stadtteil-Parlamente über neue Flüchtlingsunterkünfte – mit teils fremdenfeindlichen Tönen.
Eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Hamburg-Lokstedt darf vorerst nicht gebaut werden. Das entschied das Hamburgische Oberverwaltungsgericht.
In Bremen fehlen 500 Plätze für Flüchtlinge. Nun werden neue Massenunterkünfte geplant. In einem Teil der Bevölkerung regt sich rassistisch motivierter Widerstand.
Anlässlich der Debatte über ein Asylheim in Schwachhausen sprach die taz mit der Sozialwissenschaftlerin Maren Schreier.