taz.de -- Syrische Flüchtlinge im Libanon: Starr vor Kälte
Im Libanon, dem kleinen Nachbarland Syriens, warten mittlerweile 1,2 Millionen Flüchtlinge dringend auf Hilfe. Denn der Winter beginnt bald.
QARAOUN taz | Der kleine kleine Abboudi schnieft kräftig, während er mit nackten Füßen über den kalten Boden robbt. Daneben sitzen seine sieben Geschwister eng beieinander. In dem Zimmer aus grauen Betonmauern ist es schon jetzt eisig, obwohl der Winter noch nicht einmal richtig begonnen hat.
Seit sieben Monaten lebt die Familie in dem Lager Qaraoun. Sie gehört zu den fast 1,2 Millionen Flüchtlingen, die sich seit dem Beginn des Syrienkriegs 2011 über die Grenze gerettet und beim UN-Flüchtlingswerk im Libanon registriert haben. Qaraoun ist eines von 40 Lagern mit insgesamt rund 5.000 Familien, das die örtliche Hilfsorganisation Union of Relief and Development Associations (Urda) betreut.
Für Abboudis Familie war der Sommer erträglich, doch nun fürchtet sie die kalte Jahreszeit. An allem fehlt es: warmen Strümpfen, Schuhen, Decken und Benzin für die Zimmeröfen. Vor einer Woche regnete es zwei Tage lang, das war nur ein bitterer Vorgeschmack auf die Zeit, die ihnen noch bevorsteht.
Abboudis Mutter Najah erinnert sich: „Wir haben uns unter Decken verkrochen und konnten uns nicht bewegen, weil wir starr vor Kälte waren. Alle wurden krank.“
Urda-Programmmanagerin Jihan Kaisi sieht dem Winter ebenfalls mit Sorge entgegen: „Vor allem die Flüchtlinge in den Bergen haben es schwer. Schnee und Schlamm blockieren die Straßen. Dabei brauchen sie täglich Zugang zu Medizin, und sie müssen Benzin für die Öfen erhalten.“
Auf 1.700 Lager verteilt
Im Libanon leben – anders als in anderen Aufnahmeländern – die Flüchtlinge meist verstreut in den Städten und auf dem Land. De facto sind alle Flüchtlingslager illegal: Bisher konnte das Parlament sich nicht über den Bau von zentral organisierten Camps ähnlich dem Lager Zaatari in Jordanien einigen – wohl aus Angst, dass dort dauerhafte Flüchtlingsstädte entstehen würden. Urda errichtet deshalb Zeltstädte und Gebäudekomplexe auf privatem Gelände oder mietet einzelne Zimmer für die Syrer. Eine Folge dieser Situation ist es, dass es kaum Schulen für die Flüchtlingsfamilien gibt. Auch die Geschwister des kleinen Abboudi haben derzeit keine Chance, etwas zu lernen.
„Es ist schwer geworden, den Bedürfnissen der Flüchtlinge nachzukommen, da sie auf 1.700 kleinere und größere Lager verteilt sind“, sagt Dana Sleiman, Pressesprecherin des Hilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) im Libanon.
Es ist offensichtlich – der kleine libanesische Staat ist völlig überfordert mit den Flüchtlingen, die inzwischen fast ein Fünftel der Bevölkerung ausmachen. Deshalb hat die Regierung kürzlich einen harten Beschluss gefasst: „Der Libanon wird keine weiteren syrischen Flüchtlinge mehr aufnehmen. […] Jeder Syrer ist willkommen, solange er kein Flüchtling ist“, verkündete Sozialminister Raschid Derbas vor wenigen Tagen. Nur noch in Ausnahmefällen dürften syrische Flüchtlinge die Grenzen passieren.
Kaum Geld für die Winterhilfe
Das ist nun eine tragische, aber logische Folge daraus, dass der Staat zu wenig internationale Unterstützung erhält. In einer Pressekonferenz mit Angela Merkel am Montag warnte der libanesische Ministerpräsident Tammam Salamer denn auch: „Das Flüchtlingsproblem ist akut und gefährlich für den Libanon.“
Mehr humanitäre Hilfe ist dringend nötig, denn das ohnehin seit Langem von politischen und ethnischen Konflikten gebeutelte Land könnte zerbrechen.
So lieferten sich Dschihadisten der Nusra-Front und des Islamischen Staats (IS) in den vergangenen Wochen heftige Auseinandersetzungen mit dem libanesischen Militär in den Grenzregionen. In der Hafenstadt Tripoli wiederum kam es zu blutigen Kämpfen zwischen der Armee und lokalen Islamisten.
Schon der vergangene Winter war hart für die syrischen Flüchtlinge, einige sind gar erfroren. Dieses Jahr sind finanzielle Hilfestellungen noch knapper: Das UNO-Flüchtlingswerk hat von den angeforderten 1,7 Milliarden Dollar für seine Programme gerade mal 40 Prozent erhalten. Andere internationale Hilfsorganisationen haben so wenig Geld, dass sie sich gar nicht oder nur minimal an der Winterhilfe beteiligen können.
29 Oct 2014
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