taz.de -- Justiz in der Türkei: Fünf Monate für Graffiti
Er soll die „Religion verunglimpft“ haben: Ein simpler Schriftzug an einer Häuserwand bringt einen Studenten ohne Bewährung hinter Gitter.
BERLIN taz | Weil er am 1. Mai diesen Jahres eine Parole an eine Wand gesprüht hat, wurde in der westtürkischen Universitätsstadt Eskisehir ein 24-jähriger Student zu fünf Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Der Straftatbestand lautete allerdings nicht Sachbeschädigung, sondern „Verunglimpfung der Religion“. Denn der Mann hatte einen Song der schottischen Punkband „The Exploited" zitiert: „Fuck your religion“.
Belangt wurde er, nachdem Überwachungskameras ihn beim Sprühen gefilmt hatten. Wie die [1][türkische Zeitung Radikal berichtet], verteidigte er sich vor Gericht damit, dass er Fan von The Exploited sei, die 1981 mit dem Album „Punks not dead“ berühmt geworden waren. Seine Anwälte beriefen sich darauf, dass diese Aussage durch die Kunst- und die Meinungsfreiheit gedeckt sei. Auch die Kritik an der Religion sei dadurch gedeckt.
Nur das Gericht sah das anders. Dieser Spruch würdige Werte herab, an die ein Teil der Bevölkerung glaube und sei dazu geeignet, bei gläubigen Menschen „natürliche“ Reaktionen zu provozieren. Der öffentlichen Frieden sei dadurch beeinträchtigt.
In der Türkei mehren sich in jüngster Zeit Strafverfahren wegen „Verunglimpfung der Religion“. So [2][sprechen Kritiker bereits davon], dass diese Anklage an die Stelle des Straftatbestands „Verunglimpfung des Türkentums" getreten sei, nach vor einigen Jahren beispielsweise der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk oder der später ermordete türkisch-armenische Publizist Hrant Dink angeklagt wurden.
Am 1. Mai war es in Istanbul und anderen Städten zu schweren Straßenschlachten gekommen, weil die Polizei die Anweisung hatte, [3][keine Demonstrationen am Taksim-Platz] zuzulassen.
6 Nov 2014
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Die Regierung bringt ein Paket neuer Sicherheitsgesetze ins Parlament ein. Demonstranten drohen härtere Strafen.
Türkischen Beamten wird vorgeworfen, einen 26-Jährigen schwer misshandelt zu haben. Der Mann gab an, er habe nur einen Streit schlichten wollen.
In der Nacht tauchen Bagger im Istanbuler Gezi-Park auf. Passanten glauben, es sei ein Testlauf für den Abriss und stoppen die Bauarbeiten.
Die Kritik des türkischen Präsidenten an einer Karikatur lässt die meisten Deutschtürken kalt. Politiker sind uneins über einen angemessenen Umgang.
Die Auseinandersetzungen zwischen Kurden, der Polizei und der Armee in der Türkei werden härter. Der Mord an drei Soldaten empört.
Wegen vermeindlich regierungsfeindlicher Aktivitäten sind erneut Polizisten verhaftet worden. Sie sollen bei Abhöraktionen gegen Erdogan beteiligt gewesen sein.
Der Reporter Björn Kietzmann wurde mit seinen beiden Kollegen bei Protesten im türkischen Diyarbakir verhaftet. Erst nach 31 Stunden kamen sie wieder frei.