taz.de -- Kommentar Pegida in Dresden: Das Volk und seine Scholle
In Ostdeutschland spürten die Bürger 1989 die Macht der Straße. Rechte erzielen die höchsten Wahlergebnisse. Und in Dresden fühlen sie sich heimisch.
Sicher, es ist politisch korrekter zu behaupten, dass Dresden und seine fremdenfeindlichen Pegida-Demonstrationen überall seien. Aber richtig ist es nicht. Nirgendwo sonst, nicht mal in Leipzig, will der Pegida-Funke richtig zünden, nirgendwo sonst gehen Normalbürger mit organisierten Neonazis gemeinsam in großer Zahl auf die Straße.
Auch in Westdeutschland existiert Rassismus. Und dennoch weisen Teile Ostdeutschlands seit der Vereinigung zwei Besonderheiten fremdenfeindlicher Politik auf: Erstens erzielen rechtspopulistische und rechtsextremistische Parteien überdurchschnittliche Ergebnisse. Nur hier konnte die NPD insgesamt viermal die Fünfprozenthürde überspringen. Und zweitens verbündeten sich nur in Ostdeutschland Nazis mit Normalbürgern zum Mob: bei den Pogromen von Hoyerswerda und Rostock 1991/92.
Pegida hat seine Traditionslinien auch in den dunklen Seiten der Revolution von 1989. Anders als im Westen, wo Demonstrationen eher eine Angelegenheit der Linken und des liberalen Bürgertums blieben, lernten damals im Osten die Normalbürger die Macht der Straße kennen. Das hatte seine positiven Konsequenzen in den Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV, die losgelöst von den Gewerkschaften starteten.
1989 war aber auch das Jahr, in dem Deutsche sich wieder unter der deutschen Fahne versammelten. Über die hässlichen Folgen davon, etwa die Krawalle gegen Ausländer und Linke bei der Fußball-WM 1990, sahen auch die westdeutschen Eliten hinweg. Das Jahr zwischen Mauerfall und Hoyerswerda ist in der deutschen Geschichtsaufarbeitung, die nach dem Happy End vom 9. November abblendet, kaum präsent.
Dennoch wäre es falsch, vom Osten als Dunkeldeutschland zu sprechen. Aber es gibt Dunkeldresden – eine Gegend, in der sich NPD und AfD sehr heimisch fühlen. Auch der Dresdner Lokalpatriotismus gehört zu den Erfolgsfaktoren von Pegida. Denn die Liebe zur eigenen Scholle und Weltoffenheit sind noch immer zwei Dinge, die nicht zusammenpassen.
22 Dec 2014
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Fremdenfeindlichkeit sei deshalb ein ostdeutsches Problem, weil es in der DDR keine Ausländer gab, heißt es oft. Eine ARD-Doku widerlegt das.
Sigrid Schüßler, Exchefin des Rings Nationaler Frauen, rechnet mit der NPD ab. Die Partei bediene das Bild des „hässlichen Deutschen“.
Aufklärung? Es ist angesichts von Pegida an der Zeit, über politische Emotionen zu sprechen.
Die Montagsdemos der Pegida in Dresden wachsen weiter. Diesmal wird jahreszeitgemäß gesungen. Die Gegner sind deutlich in der Minderheit.
In „Prince of Pegida“ rettet ein blonder Europäer Dresden vor der Islamisierung. Dabei kämpft er gegen Muslime in Pluderhosen und die Lügenpresse.
Durch rassistische Tiraden fiel der Görlitzer Kaufhausinvestor Winfried Stöcker bundesweit auf. Das hat juristische Folgen.
Pegida als ostdeutsches oder sogar nur ein sächsisches Problem zu sehen, greift viel zu kurz. Es erinnert an die Fehler der 1990er-Jahre.
Politiker fordern muslimische Lieder zum Weihnachtsfest? Wie die „Bild“-Zeitung ein Gerücht in die Welt setzt, das die Ängste der „Pegida“-Anhänger schürt.
Einstige DDR-Bürgerrechtler wenden sich gegen die „Wir sind das Volk!“-Attitüde der Rechtspopulisten. Sie wollen Widerstand gegen sie anregen.
Mit den Pegida-Demos ist das Abendland wieder hoch im Diskurs. Heinrich Bedford-Strohm über christliche Werte, Rassismus und Strategien gegen Vorurteile.