taz.de -- ARD-Feature zu Edward Snowden: Wackelkamera, ADHS und Koks
„Die Jagd auf Snowden“ erzählt, wie Wikileaks im Fall des Whistleblowers die USA-Behörden austrickste – leider in einem sinnfreien Bildersturm.
Telefonklingeln, Polizeisirenen, nervöse Handkamera, hektische Schnitte. Offenbar klandestin gefilmte Bilder von einem Flughafen. Dumpfe Trommelschläge. „Es ging um sein Leben“, sagt jemand im Off. So beginnen Thriller.
Das Feature „Die Jagd auf Edward Snowden“ versucht Tempo und Überrumpelungsästhetik von Actionfilmen zu imitieren. Kaum ein Bild länger als eine paar Sekunden, wir sehen ein Stakkato von schrillen Blickwinkeln, Froschaugenoptik. Autofahrten im Tunnel.
Auch Interviews mit Ex-NSA-Chef Michael Hayden und Wikileaks-Gründer Julian Assange mit der Journalistin Sarah Harrison und Edward Snowden selbst sind stets aus mehreren Perspektiven gefilmt und montiert. Die meisten Schnitte sorgen nicht für mehr Verständnis. Vielleicht sollen sie die Gefahr suggerieren, in der Snowden 2013 schwebte. Vor allem aber dienen sie der Zerstreuung. Besonders strapaziös ist das maßlose Reenactment.
Interviews mit Snowden werden mit schnell geschnittenen, inszenierten Bildern unterlegt. Als wäre das Publikum ADHS-gestört, als würde es sofort zappen, wenn ihm mal zwei, drei Sätze ohne Zoom, Schnitt, neues Sounddesign zugemutet werden.
Weltpolitik als Farce
Laura Poitras hat in dem famosen Dokumentarfilm „Citizen four“ das Drama um Edward Snowdens Flucht nach Hongkong in ruhigen, langen Einstellungen gezeigt. Es sind Bilder, in denen wir etwas suchen und entdecken können. Man kann in Snowdens Mimik und Gestik in dem weißen, sterilen Hotelzimmer im Juni 2013 seine Verunsicherung erkennen, aber auch die erstaunlich klare Art, auch das Schlimmste – lebenslange Haft – gefasst in den Blick zu nehmen.
„Jagd auf Snowden“ zeigt einen weiteren Ausschnitt des Dramas als „Citizen four“ – über Hongkong im Juni 2013 und Snowdens Kontakte mit dem Journalisten Glenn Greenwald hinaus. Die US-Behörden machten den kuriosen Fehler, nach Edward James Snowden zu fahnden – doch der heißt Joseph mit zweitem Namen. Eine Gelegenheit für China, das Problem Snowden Richtung Moskau zu entsorgen. Eine Parlamentarierin aus Hongkong erläutert leutselig, dass „unsere Mitarbeiter am Flughafen sehr gewissenhaft geprüft haben, ob es sich um den von den USA Gesuchten“ handelt – und Snowden passieren ließen. Weltpolitik als Farce.
In der Skizze von John Goetz und Poul-Erik Heilbuth spielt Julian Assange eine Schlüsselrolle. Er, eingesperrt in der ecuadorianischen Botschaft in London, ist der zentrale Gegenspieler der US-Dienste. Wenn man der Deutung in „Jagd aus Snowden“ folgt, hat Assange nicht nur Snowdens Flucht nach Moskau unterstützt, indem er die US-Behörden mit falschen Informationen über Flugziele verwirrte. Vor allem hat der Wikileaks-Gründer ein paar Wochen später den USA eine handfeste internationale Blamage beschert.
Die USA veranlassten Frankreich und Österreich im Juli 2013 dazu, das Flugzeug des bolivianischen Staatschefs Evo Morales aus Moskau zur Landung zu zwingen. Die US-Dienste vermuteten fälschlicherweise Snowden in dem Jet. Die Aktion war ein Desaster für die USA. Die Westeuropäer erschienen als willige Helfer der äußerst schlecht informierten CIA. All das war eine Falle, die Assange raffiniert mit Falschmeldungen konstruiert hatte.
Blinder Hass
Michael Hayden sagt im Interview: „Wir wollten Snowden bestrafen, um ein Exempel zu statuieren.“ Später sieht man ein älteres Foto – mit NSA-Chef Hayden und Edward Snowden, einem jungen, aufstrebenden Mitarbeiter des US-Dienstes. Beide lächeln stolz in die Kamera, wie Vater und Sohn. Die- ses Foto illustriert den Kern der Affäre. Es ist die Geschichte der Verwandlung eines braven, karriereorientierten US-Bürgers in einen sanften Rebellen, der dem Machtmissbrauch die Zivilcourage vorzieht. Und der damit den Hass des in seinem Patriotismus für den Rechts- staat blinden Hayden auf sich zieht.
Die Geschichte ist es mehr als wert, erzählen zu werden. Nur schade, dass „Jagd auf Snowden“ so aussieht, als hätte Oliver Stone vollgekokst mit der Handykamera „Natural Born Killers“ noch mal gedreht.
12 Jan 2015
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