taz.de -- Programm der Starmer-Regierung: Securonomics statt Kindergeld
Nach 16 Jahren Tories könnte die Starmer-Regierung ein Befreiungsschlag sein. Bei der Kinderarmut setzt sie aber schon jetzt die falschen Prioritäten.
Eigentlich sollte im Königreich mit der Keir-Starmer-Regierung eine Partei an der Macht sein, die sich für soziale Anliegen, Gerechtigkeit und die Rechte von Arbeiter:innen einsetzt. Doch die neuen Slogans aus der Partei lauten „Securonomics“ und Wachstum. Unter Jeremy Corbyn vor fünf Jahren klang das noch anders: „For the many, not the few.“
Immerhin will sich die Partei des Menschenrechtsanwalts Starmer nicht nur hinter das europäische Menschenrecht stellen, sondern ist auch an der Aufarbeitung von Unrecht und an entsprechender Entschädigung interessiert: etwa der Opfer des [1][„Blutskandals“], der Angestellten im [2][„Post-Office-Skandal“], der Geschädigten des „Windrush-Skandals“, als Überlebende der britischen Kolonialherrschaft aus der Karibik [3][in Großbritannien kriminalisiert wurden], sowie der Opfer und Überlebenden des [4][Infernos vom Grenfell Tower].
Auch sind viele von Gewerkschaften geforderte Schutzmaßnahmen für Arbeitnehmer:innen groß im Programm: das Ende der Nullstundenverträge und der Hire-and-Fire-Praxis sowie ein Verbot von Lohnunterschieden zwischen Menschen mit unterschiedlichen Identitätsmerkmalen. Das Pflegepersonal soll künftig „[5][faire Gehälter]“ erhalten.
Im Sinne progressiver Politik ist auch das Vorhaben, häusliche Gewalt bis Regierungsende zu halbieren, Änderungen im Baurecht, die 1,5 Millionen Wohnungen liefern sollen, sowie ein verstärkter Mieterschutz für Millionen von Menschen, die auch auf eine bessere, bald verstaatlichte Bahn hoffen können. Die mentale Gesundheitsversorgung soll aufgewertet werden und Frühstücksprogramme in allen Schulen sollen weitere Barrieren abbauen und gegen Kinderarmut helfen.
Austerität statt Armutsbekämpfung
Doch gerade die Politik zur Kinderarmut ist es, die der neuen Labour-Regierung schon jetzt zum Verhängnis geworden ist. Viele Hilfsorganisationen und Vertreter:innen nahezu aller Parteien fordern die Abschaffung der von den Tories eingeführten [6][Begrenzung des Kindergelds auf nur zwei Kinder]. Würde diese abgeschafft werden, könnten Expert:innen zufolge fast eine halbe Million Kinder aus der Armut gehoben werden.
Doch die Labour-Führung Starmers glaubt, sie könne die Kosten dafür, umgerechnet drei bis vier Milliarden Euro pro Jahr, derzeit aufgrund der Staatsverschuldung nicht verantworten.
Bei der Wahl zwischen sich selbst aufgezwungenen Wirtschaftsregeln und eindeutigen Maßnahmen gegen Kinderarmut hätte gewissenhafte Politik keine Probleme, die richtige Entscheidung zu treffen, glaubt der renommierte britische Journalist Andrew Marr [7][im New Statesman] und stellt deshalb die berechtigte Frage: Woran glaubt Labour überhaupt noch?
20 Jul 2024
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Die britische Labour-Partei setzt sich bei der Kürzung von Heizkostenzuschüssen für Rentner durch. Doch es gibt Widerstand gegen die Sparpolitik.
Die Ausschreitungen vereinen rechte Influencer, rassistische Aktivisten und unpolitische Mitläufer, sagt Matthew Feldman – und damit eigene Ansätze.
Kemi Badenoch will die britischen Konservativen führen. Manche vergleichen die Tochter eines nigerianischen Arztes schon mit Margaret Thatcher.
Schuld sind die Tories? Es drängt sich der Verdacht auf, dass Labour vor einer harten Sparrunde steht und die Verantwortung nicht tragen will.
Sieben Labour-Abgeordnete fliegen aus der Fraktion, weil sie gegen die Regierung stimmten. Die Linke außerhalb Labours ist begeistert.
In der King’s Speech verkündet König Charles III. das Programm der neuen Labour-Regierung von Wahlgewinner Keir Starmer.
Die Regierung von Labour-Premier Keir Starmer hat die Arbeit aufgenommen. Auch Politiker aus der Ära Tony Blair sind mit dabei.
Der britische Labour-Chef tritt sein Amt an, die Konservativen sind am Boden zerstört. Aber im Detail sind die Ergebnisse durchwachsen.