taz.de -- Gespräch mit Betreibern des Pudel Clubs: „Insolvenz oder Rave“

Der Hamburger Golden Pudel Club ist eine musikalische Institution. Seinem Label wird die Corona-Rechnung serviert: Es droht die Zahlungsunfähigkeit.
Bild: „Seit Corona ist es schwierig geworden“: Ralf Köster und Rica Blunck im Pudelclub

wochentaz: Frau Blunck, Herr Köster, „Der Pudel“ in Hamburg braucht Geld. Warum?

Ralf Köster: Falsch, und das ist ganz wichtig: Das Label Pudel Produkte braucht Geld!

Das Label, das zum Pudel gehört, soll die Corona-Hilfe zurückzahlen. Wie kommt das jetzt zustande?

Köster: Wie fast alle hat auch das Pudel-Label sich in diesen Antragswahnsinn begeben. Es war absehbar, dass ein bis zwei Jahre alles dicht sein wird. Wir selbst hätten das Geld gar nicht gebraucht, wir haben es den Freiberuflern gegeben, die während der Pandemie nicht so gut gefördert worden sind.

Als wir das Geld genehmigt bekommen haben, wurde es ausgegeben für Musikproduktion, Cover-Artwork und Mastering. Uns war nicht klar, und niemand hat uns das gesagt, dass man das Geld eventuell zurückzahlen muss. Vielleicht waren wir schlecht beraten oder haben das Kleingedruckte nicht sorgfältig genug gelesen.

Rica Blunck: Ich kenne Vereine und Betriebe, die das Kleingedruckte sehr wohl gelesen haben und trotzdem die Hilfen zurückzahlen müssen oder fürchten, die Corona-Hilfen zurückzahlen zu müssen, und es kaum können. Ebenso Privatpersonen, die nicht übersehen haben, dass sie in einem kleinen Punkt die Anforderungen nicht erfüllt haben und durch die Rückzahlung in Notlage geraten. Das war ein bisschen sehr unübersichtlich gestaltet von der Politik.

Seit wann ist bekannt, dass Pudel Produkte Geld zurückzahlen muss?

Köster: Im Herbst 2022 haben wir Post bekommen: Wir sollten alles komplett zurückzahlen. Dagegen haben wir Einspruch erhoben. Im Juli 2023 wurde uns mitgeteilt, dass der Einspruch abgelehnt ist und wir das Geld jetzt zurückzahlen müssen. Wir konnten noch den Zahlungsaufschub bis Ende Dezember erreichen.

Von was für einer Summe reden wir hier?

Köster: Über Geld redet man in Hamburg nicht. Man hat es oder hat es nicht. Es ist ein hoher vierstelliger Betrag.

Wenn man über Geld nicht reden muss, ist das ja auch wieder interessant. Spielt es keine Rolle?

Köster: Unser Steuerberater sagt, Musikproduktion ist kein Geschäft, sondern eine Liebhaberei. Das Label spielt das Geld nie wieder ein. Vinyl ist teuer geworden, Online-Verkäufe und Streaming bringen kein Geld ein.

Und deshalb soll mit einem Soforthilfe-Rave am 25. August im Hamburger Club „Uebel und Gefährlich“ Geld in die Kasse vom Pudel-Produkte-Label gespült werden?

Köster: Entweder wir melden Insolvenz an, oder wir machen diesen Rave im Bunker, bei dem alle Künstler:innen des Labels ohne Gage spielen. Den Beteiligten sind wir übrigens sehr dankbar, dass sie bei dieser Sache mitmachen. Das ist jetzt eine Chance, wieder solvent zu sein und weiter Schallplatten herausbringen zu können.

Was würde die Insolvenz bedeuten?

Köster: Dass die Firma aufgelöst wird und wir zahlungsunfähig sind. Damit würde das Label wegbrechen, würden keine Schallplatten mehr erscheinen. Auch das Online-Label, die Bandcamp-Seite, würde somit zugemacht und die Musik würde aus dem Netz genommen. Wir müssten den Künstlern sagen, ihre Musik ist vergriffen. Da würde dann wirklich Kultur vom Markt genommen.

Blunck: Wenn dieses Label auch noch verschwindet, dann schlägt das ein großes Loch. Das Label arbeitet eng mit den Künstlern zusammen, kommuniziert und tauscht Ideen aus, das macht es so speziell. Der Pudel hat großes Verständnis für künstlerische Freiheit, er greift nicht ein, steuert eher gute Ideen bei. Wenn man die mehr als 60 Platten, die bis heute entstanden sind, wirklich aus dem Netz nehmen würde, wäre das katastrophal!

Der Pudel ist ja auch eine Stiftung. Kann die dem Label nicht unter die Arme greifen?

Köster: Die Idee, dass sich das gegenseitig unterstützt, die gibt es. Aber finanziell muss man das auseinanderhalten. Und das Geld ist nicht da. Der Club war während Corona zwei Jahre geschlossen.

Blunck: Alles, was mit dem Pudel zu tun hat, ist bewusst nicht im Mainstream. Der Club überlebt so gerade mal eben, es gibt keine Rücklagen. Wenn man die Summen, die Unternehmen wie Lufthansa oder andere Big Player erhalten haben, vergleicht mit dem vierstelligem Betrag, kommt es mir sehr lächerlich vor.

Köster: Diese Großunternehmen können das refinanzieren. Aber kleine Kulturbetriebe wie Pudel Produkte kriegen das nicht mehr rein.

Nachdem Ostgut Ton, das Label des Berliner Clubs Berghain, 2021 eingestellt wurde, gibt es nur noch wenige Labels in Deutschland mit einem Club im Hintergrund. Welche Rolle spielt Relevanz für Sie?

Köster: Schallplatten rauszubringen, für das Label und auch für die Künstler, ist wie ein Buch in der Hand zu halten. Und dadurch, dass die Kids Musik nur noch über ihr Handy und im Abo konsumieren, haben wir uns irgendwann gesagt, wir müssen das auch online stellen. Dann hat es die Relevanz, wird im größeren Stil wahrgenommen.

Viele dieser Platten würden sonst kein Label finden, also nie erscheinen. Durch den Pudel bekommen Künstler höhere Aufmerksamkeit. Er hat eine seit über 30 Jahren gewachsene Struktur. Deshalb arbeiten Künstler gerne mit Pudel Produkte zusammen.

Blunck: Im Pudel treten Künstler in Erscheinung, die erst viel später von einem großen Publikum gehört werden. Hier werden Talente gefördert, die sonst gar nicht entdeckt worden wären. Der Pudel mit dem Club und dem Label ist immer noch ein Experimentierfeld: Musik ist eine Kunstform, und zur Kunst gehört das Experiment.

Köster: Auch kommerzielle Musik profitiert von Subkultur. Dort entsteht erst das, was dann weitergetragen wird. Große Festivals werden Riesenprobleme kriegen, wenn sich neue Bands für die Clubs nicht mehr lohnen. Eine Band braucht zwei, drei Jahre, um ihren Stil zu finden, während sie durch kleine Clubs tourt – und erst dann ist sie fit für die große Bühne.

Wie ist die Lage der randständigen Musik nach Corona?

Köster: Unbekannte Bands haben es schwerer als vorher. Clubs haben echte Probleme, unbekannte Bands einem neuen Publikum anzubieten, weil sie das Risiko eingehen, draufzuzahlen. Für neue Bands ist es momentan aussichtslos zu touren. Hinzu kommt, dass es nach Corona in Hamburg unter der Woche kein Nachtleben mehr gibt. Mittwochnachts um 2 Uhr ist nichts mehr! Von Sonntag bis Mittwoch geht niemand mehr aus.

Das finde ich den größten Verlust überhaupt. Wenn der Club nur noch drei Tage pro Woche geöffnet ist und währenddessen alle Rechnungen gezahlt werden müssen, kann man sich ausrechnen, dass nicht mehr viel Spielraum für unbekannte Bands bleibt. Clubs gehen gerade auf Nummer sicher.

Gehen Sie davon aus, mit Ihrer Benefizveranstaltung am 25. August in Hamburg das fehlende Geld einzuspielen?

Köster: Seit Corona ist es schwierig geworden, Voraussagen zu treffen. Wenn zu wenige Leute kommen und das Geld nicht reicht, müssen wir uns etwas Neues überlegen. Wir haben schon T-Shirts gedruckt, und der Musiker Carsten Meyer hat angeboten, dass wir Dinge aus seinem Archiv versteigern, alte Trommeln, Moogsynthesizer und verschollene Zeichnungen aus seinem Frühwerk.

19 Aug 2023

AUTOREN

Lena Kaiser

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