taz.de -- Geschichtsträchtiger Ort bei Berlin: Die FDJ-Schule verfällt

An den Bogensee baute Goebbels eine Villa; die DDR schickte FDJler zur Fortbildung. Berlin hat keine Idee für das heute zugewachsene Gelände.
Bild: Gelände der ehemaligen FDJ Jugendhochschule Bogensee

BERLIN taz | Vor den Toren ihrer Stadt lässt das Land Berlin ein architektonisches Juwel verfallen, das Areal am Bogensee, etwa 15 Kilometer nördlich vom Berliner Stadtrand. Diese kleine Exklave mit Brandenburg drumherum ist 1914 in Berliner Besitz gekommen und war im 20. Jahrhundert auf unterschiedliche Weise Schauplatz deutscher Geschichte (siehe Kasten). Dieses historische Erbe mit der Villa von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels und gigantischen Stalinbauten der Jugendhochschule der FDJ mitten im Wald und am Ufer eines der verwunschensten Seen in Brandenburg macht seine Faszination aus. Dazu muss man kein Anhänger einer Diktatur sein. Aber es verfällt.

Skulpturen und Gebäude wurden während des 21-jährigen Leerstands Opfer von Vandalismus. Darum will die Berliner Immobilienmanagement GmbH BIM, die es verwaltet, es am liebsten verstecken. Sprecherin Johanna Steinke macht kein Geheimnis daraus, dass sie sich nicht freut, wenn die taz darüber berichtet. Medienberichte hätten in den letzten Jahren immer wieder Besucher angelockt, und das hätte zu mehr Schäden an den Bauten auf dem 140.000 Quadratmeter großen Grundstück geführt.

Doch der Schaden durch Vandalismus ist keinesfalls der gesamte Schaden an den denkmalgeschützten Gebäuden aus zwei verschiedenen Zeitabschnitten: Viel mehr Zerstörung richtet die Natur an. Dicht an der Goebbels-Villa wachsen Bäume, eine Eiche ist seit Jahren mit dem Geländer verwachsen. Von den Stalinbauten bröckelt der Putz, Regen dringt ein und Bäume wachsen in der Dachrinne. Während frisch gemähte Rasenflächen von Grünflächenpflege zeugen, hat seit Jahren niemand etwas gegen die Vegetation an den denkmalgeschützten Gebäuden selbst unternommen.

Hohe Betriebskosten

Eine Viertelmillion Euro gibt Berlin jährlich für Betriebskosten aus, zählt Johanna Steinke von der BIM auf: Hausmeister, Grünflächenpflege und Heizung beispielsweise. Hinzu kamen 2019 für Sicherungsarbeiten 1,4 Millionen Euro. Nicht genug, um die Substanz zu erhalten, kritisiert Irmgard Zündorf vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Der Historikerin, die eine Onlineausstellung zur Geschichte vom Bogensee vorbereitet, blutet das Herz, wenn sie vor Ort ist. „In der Goebbels-Villa wurden nach 1990 in zentralen Räumen die Parkettfußböden herausgerissen und durch Fliesen ersetzt. In der FDJ-Hochschule fanden in den 1990er Jahren Modernisierungsarbeiten statt, die den Charakter überbauten.“ Für die Historikerin steht fest: „Hier muss schnell Geld in die Hand genommen werden, um das historische Erbe zu erhalten.“

Ganz andere Vorstellungen hat der SPD-Finanzpolitiker Sven Heinemann. „Wir müssen mit dem Land Brandenburg sprechen, auch mit dem Denkmalschutz, ob wir die Gebäude nicht abreißen und das Grundstück renaturieren können“, sagt er der taz. 21 Jahre lang hätte sich kein Investor gefunden, und Heinemann sieht auch jetzt keinen Bedarf. Die Ruinen hingegen würden das Land Berlin viel Geld kosten.

Johanna Steinke von der BIM formuliert es weniger drastisch: Die Größe der Gebäude und der Denkmalschutz machen eine Verwertung zu einer Herausforderung, sagt sie. Verkaufsverhandlungen scheiterten immer wieder. 2014 endete ein weltweites Bieterverfahren ohne Ergebnis. Seit 2015 sind Berlins Finanzpolitiker generell davon abgekommen, Immobilien und Liegenschaften im Landesbesitz zu verkaufen, seitdem sind Vermietung, Verpachtung oder Erbbaurecht angesagt. Im Falle des Bogensees sei das besonders geboten, so Steinke. Denn Berlin will verhindern, dass Anhänger des Nationalsozialismus die Goebbels-Villa als Pilgerstätte nutzen.

Keine Akademie, keine Idee

Das letzte ernsthafte Angebot scheiterte vor zwei Monaten: Eine von Bewohnern umliegender Gemeinden gegründete „Akademie Bogensee GmbH“, die hier Bildungseinrichtungen ansiedeln und Gebäude touristisch nutzen wollte, konnte die BIM nicht von der wirtschaftlichen Tragfähigkeit ihres Konzepts überzeugen.

Aber scheitert die Verwertung nicht auch, weil Berlin sich dem zwiespältigen historischen Erbe nicht stellt? Kann man am Bogensee etwas Neues bauen, ohne die Geschichte mit einzubeziehen? 2007 erklärte der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) im Kulturausschuss, es gebe „kein Bestreben des Landes Berlin, irgendeine Gedenk- und Dokumentationsstätte zu installieren“. Bis heute bietet niemand Führungen am Bogensee an. Die BIM will das nicht, denn das würde Besucher anlocken, die sie nicht haben will.

Dabei platzt Berlin aus allen Nähten. Neue Schulstandorte ist zu finden ist eine Herausforderung. Warum nicht eine Internatsschule vor den Toren der Stadt? Oder ein Standort einer Hochschule? Oder eine Kureinrichtung? Die BIM denkt in eine andere Richtung. Sie sucht derzeit das Gespräch mit der Gemeinde Wandlitz, ob die sich hier Wohnungsbau vorstellen könnte. Doch dazu müsste Brandenburg nicht nur das Planungsrecht ändern, sondern auch Schneisen für Zufahrtsstraßen in den Wald schlagen. Das ist wohl eher unwahrscheinlich.

17 Jul 2020

AUTOREN

Marina Mai

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