taz.de -- Flüchtlinge in Berlin: Oranienplatz, letzte Runde
Gegen die verbliebenen Flüchtlinge der besetzten Schule wird geklagt. Derweil such der Innensenator nach Bleibeperspektiven.
Berlin taz Zweieinhalb Jahre nach der [1][konfliktreichen Teilräumung] harren noch 24 Bewohner in der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg aus. Jetzt kommt Bewegung in den Streit über deren Zukunft: Am heutigen Mittwoch verhandelt das Landgericht Tegeler Weg über eine Räumungsklage des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg gegen die verbliebenen Bewohner.
Im vergangenen Juli hatte das Bezirksamt um Bürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) die [2][zivilrechtliche Räumungsklage eingereicht]. Wie Heinrich Baasen, Rechtsamtsleiter des Bezirks, der taz bestätigte, geht es dem Bezirk darum, „die Flächen der Schule zurückzubekommen“.
Weil er aber den Besetzern im Sommer 2014 schriftlich ein Wohnrecht einräumte, scheiterte der Bezirk 2015 vor dem [3][Verwaltungs]- und dann vor dem [4][Oberverwaltungsgericht] damit, per Verwaltungsakt eine Räumung durchzusetzen. Dies gehe nur durch einen Räumungstitel beim Zivilgericht, so die damaligen Urteile. Genau dies peilt der Bezirk nun an; Baasen sieht „gute Chancen“ für einen Erfolg.
Bei der Verhandlung wird die Bewertung des Einigungspapiers vom Juli 2014 eine zentrale Rolle spielen. Darin hatten sich Besetzer und Bezirk auf einen 10-Punkte-Plan geeinigt, der neben dem Verbleib in den oberen Etagen der Schule inklusive Nutzerausweisen und Sicherheitsdienst auch Forderungen nach einem Aufenthaltsrecht umfasste.
Streit um das Einigungspapier
Der Bezirk argumentiere nun, „das Papier sei null und nichtig, da es zeitlich nicht befristet gewesen sei“, sagte der Anwalt der Bewohner, Ralph Monneck, der taz. Für den Fall, dass das Gericht dem nicht folgt, hat der Bezirk sicherheitshalber das Papier selbst aufgekündigt.
Anwalt Monneck sieht die Bedingung zur Kündigung allerdings als nicht erfüllt. Der Vertrag ende erst, wenn alle Bewohner Aufenthaltstitel erhielten. „Mit individuellen Papieren wären die Leute zufrieden“, so Monneck.
Bürgermeisterin Herrmann wollte sich dazu nicht äußern, wie der Bezirk bei einem erfolgreichen Prozessausgang weiter verfahren werde. Ob es im Bezirk eine Mehrheit für einen erneuten polizeilichen Räumungsversuch geben würde, ist nach den Erfahrungen von 2014 aber zumindest fraglich. Möglich erscheint, dass dann weitere Gespräche stattfinden, die auch Lösungen des individuellen Aufenthaltsrechts beinhalten.
Um das Bleiberecht geht es derzeit auch für eine weitere Gruppe von 130 ehemaligen Oranienplatz-Flüchtlingen, die sich in der Obhut evangelischer Kirchengemeinden befinden. Über ihr Schicksal wird seit über zwei Jahren verhandelt. Unter Rot-Schwarz blockierte der damalige CDU-Innensenator Frank Henkel offenkundig eine Lösung, umso größer sind die Hoffnungen seit dem Regierungswechsel.
Laut Koalitionsvertrag will Rot-Rot-Grün die „Vorschriften des Aufenthalts- und Asylrechts“ so anwenden, „dass sie die Integration erleichtern und Bleibeperspektiven auch in bislang ungelösten Fällen ermöglichen“. In der Tat finden derzeit Gespräche zwischen Innensenator Andreas Geisel (SPD) und der Kirche zur Frage der Oranienplatz-Leute statt. Dies sagte ein Sprecher der Innenverwaltung auf Nachfrage der taz.
Was den Stand der Verhandlungen betrifft, geben sich die Beteiligten indes zugeknöpft. Pfarrer Peter Storck von der evangelischen Kirche Heilig-Kreuz-Passion sagte der taz immerhin, dass es „recht fruchtbare“ Gespräche seien. Mehr dürfe er nicht verraten. Kein Wunder: Es gibt genügend Kräfte in der Stadt – von CDU und AfD über Teile der Medien bis hin zu „besorgten Bürgern“ –, die eine Einigung im Sinne der Oranienplatz-Leute alles andere als gutheißen würden. Für sie sind die Flüchtlinge seit der Besetzung des Platzes nichts anderes als Erpresser, mit denen der Staat nicht verhandeln dürfe.
Kirche geht die Puste aus
Die Kirche hatte die Gespräche mit dem Senat vor zwei Jahren angestoßen, nachdem Dutzende Männer vom Oranienplatz im Herbst 2014 die Kreuzberger [5][Thomaskirche] besetzt hatten – aus Verzweiflung darüber, dass ihnen Henkels Ausländerbehörde Aufenthaltstitel verweigerte. Im März 2015 erklärte der Regierende Bürgermeister Michael Müller nach einem Gespräch mit Bischof Markus Dröge, es werde eine „juristisch akzeptable Lösung“ gesucht. Nach der sucht man bis heute.
Unterdessen scheint der Kirche bei der Versorgung der Männer langsam die Puste auszugehen. Seit mehr als zwei Jahren kümmern sich verschiedene Kirchengemeinden ehrenamtlich um Oranienplatz-Leute, geben ihnen Schlafplätze, Essen, ein kleines Taschengeld, versuchen sie zu beschäftigen und zu ermutigen. Anfangs waren es knapp 90 Flüchtlinge, irgendwann bis zu 130.
Doch inzwischen haben einige Kirchengemeinden nach taz-Informationen ihre Hilfe wieder eingestellt, einzelne Unterkünfte wurden geschlossen, Männer auf die Straße gesetzt. Wer genau die Glücklichen sind, für die die Kirche nun über ein Bleiberecht verhandelt, ist daher nicht bekannt.
25 Jan 2017
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