taz.de -- Blockhäuser mit NS-Geschichte: Schwarze Villen für die Nazi-Granden
In Hamburg ist eine Siedlung rustikaler Norwegerhäuser fast komplett erhalten. Entstanden als Behelfsheime für NS-Funktionäre sind sie heute hoch begehrt.
Das Schwarz trifft einen wie ein Schlag. Gebrochen das Idyll, vorbei die Idee vom gemütlich „hyggeligen“ Skandinavierhäuschen. Rot, gelb, grün, kunterbunt muss es doch sein wie weiland Pippi Langstrumpfs Villa, garniert mit Pferd, Affe und lustigen Liedern. Nie gelebte Träume einer so unbeschwerten wie anarchischen Kindheit weckend.
Zwar hatte man vor dem Ausflug nach Wohldorf-Ohlstedt in Hamburgs Norden gewusst, dass es da eine Siedlung mit „Norwegerhäusern“ aus der NS-Zeit gibt, war ja genau deshalb hingefahren. Aber dieses Wissen blieb abstrakt und kam gegen das persönliche Skandinavienhaus-Klischee nicht an. Und dann das: Die Villa-Kunterbunt-Form mit Veranda und Niedlich-Vorbau stimmt zwar. Aber – alles schwarz.
Und viel davon: 15 von 20 Häuser sind hier in Ohlstedt erhalten. Hinter jedem Gebüsch in der gepflegten Siedlung lugt ein rustikales Blockhaus aus schwarzen Holzbohlen hervor – um immer neu daran zu erinnern, dass das hier keine Ferienhäuser sind, sondern ein architektonisches Erbe der Nazizeit.
Das Holz aus besetztem Land
Und letztlich ist die Farbe natürlich folgerichtig und ideologie-stimmig, hatte Hamburgs NS-Gauleiter Karl Kaufmann die Häuser doch nach den Bombardierungen 1943/44 Hamburgs – etwa dem „Feuersturm“ der britischen Alliierten als Antwort auf deutsche Angriffe – als Behelfsheime für hohe NS-Funktionäre bauen lassen. An anarchische Kinder hatten die NS-Bauherren dabei sicher nicht gedacht – schon gar nicht an die [1][emanzipierten Mädchenfiguren einer Astrid Lindgren].
Was das NS-Regime stattdessen propagierte: das ideologisch im Norden verortete, anderen Völkern vermeintlich überlegene Germanen- und „Ariertum“, dem man auch die NorwegerInnen zurechnete. Das reichte bis in Baustil und Material hinein, ließ man doch originales Holz aus dem besetzten Norwegen holen, um Häuser für die Besatzer zu bauen. Eine von vielen zynischen Gesten des NS-Regimes.
Architekt der Häuser war eine schillernde Figur: Der Hamburger [2][Architekt Werner Kallmorgen], seit Oktober 1939 NSDAP-Mitglied, hatte sie im staatlichen Auftrag entworfen. Nach dem Krieg wurde er in den 1960er Jahren für funktionale Bauten in Hamburg wie das IBM-Haus, das Altonaer Krankenhaus, aber auch den Kaispeicher A bekannt. Das ist der einstige Kakaospeicher, auf dem seit 2017 die Elbphilharmonie prangt. Kallmorgen baute, was eben anfiel, war den jeweils Regierenden geschmeidig angepasst.
Die Ohlstedter Norwegerhäuser indes wurden nach dem Krieg an die BewohnerInnen verkauft und gehen bis heute unter Betuchten gut: Das Viertel wirkt anmutig, birgt viel Grün, die Häuser haben, wenn auch renovierungbedürftig, Eigenart. Auch versäumen MaklerInnen und ArchitektInnen nicht, das Baumaterial als ökologisch nachhaltig zu preisen. Dabei war das wohl kaum die Motivation der Erbauer; vielmehr dürften sie die grasbewachsenen Dächer als Tarnung gegen Luftangriffe geschätzt haben.
Die Häuser heute denkmalgeschützt
Heute sind die Häuser denkmalgeschützt und die KäuferInnen verpflichten sich, der Interessengemeinschaft IG-Norwegenhaus-Siedlung e. V. beizutreten, um die Eigenart dieses Ensembles zu bewahren. Nicht die Erinnerung an die Vorgeschichte steht also im Fokus, sondern der Erhalt des Denkmals, der reinen, quasi unpolitischen Architektur.
In diesem Willen zur Idylle tut sich eine Lücke auf im historischen Gedächtnis, dabei finden sich doch auch in nahe gelegenen Straßen mehrere Stolpersteine für Opfer des NS-Regimes. Widerstandskämpfer der SPD sind darunter und jüdische Verfolgte wie der in die britische Emigration gezwungene Jurist Albrecht Mendelssohn Bartholdy, Enkel des Komponisten Felix Mendelsssohn Bartholdy. Auch in Ohlstedt lagen, wie in den Konzentrationslagern, Täter- und Opferort nah beieinander.
Und allein schon über das Stichwort „Norwegen“ lassen die Blockhäuser in Ohlstedt an die von der SS gegründeten „Lebensborn“-Heime denken, von denen es auch mehr als ein Dutzend im besetzten Norwegen gab. Sie sollten „rassisch wertvolle“ Kinder für den NS-Staat heranziehen, gezeugt von deutschen Besatzungssoldaten mit Norwegerinnen, die ihre Kinder möglichst zur Adoption freigeben sollten. In Norwegen – wie in allen anderen besetzten Ländern – galten diese Frauen als „Deutschenflittchen“ und wurden noch jahrzehntelang geächtet. Die rund 12.000 Kinder aus diesen Verbindungen, die teils in Deutschland, teils in Norwegen aufwuchsen, erfuhren ihre wahre Herkunft spät oder nie.
All das sieht man den Hamburger Norwegerhäusern natürlich nicht an. Aber es ist da, knapp unter der Oberfläche.
12 Nov 2025
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