taz.de -- Mutterschaft in der Identitätskrise: Tradwives, Trotz und Transformation

Ist Mutterschaft in einer Identitätskrise? Franziska Büschelberger und Cornelia Spachtholz sprechen über das Neudenken alter Rollenbilder.

In der aktuellen Folge von Mauerecho spricht Dennis Chiponda mit Franziska Büschelberger und Cornelia Spachtholz über das Thema Mutterschaft. Büschelberger, in Berlin geboren und in Dresden sozialisiert, ist Gründerin der Initiative Unpaid Carework. Diese Bewegung macht unbezahlte Pflege- und Sorgearbeit sichtbar und setzt sich für deren Anerkennung im beruflichen Kontext ein. Cornelia Spachtholz, geboren in Hannover, ist Vorsitzende des Verbands berufstätiger Mütter (VBM). Seit Jahrzehnten engagiert sie sich für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie für Gleichstellung.

Zu Beginn des Gesprächs geht es um die unterschiedlichen Konnotationen des Begriffs „Mutterschaft“. Chiponda weist darauf hin, dass der Begriff „Rabenmutter“ in keiner anderen Sprache existiert. Aber auch andere negativ besetzte Begriffe wie „Helikoptermutter“, „Latte-Macchiato-Mutter“ oder „Pippi-Langstrumpf-Mutter“ prägen das gesellschaftliche Bild. Woher kommen solche Etikettierungen?

Für Spachtholz liegt der Ursprung in patriarchalen Strukturen: „Egal wie wir unsere Mutterrolle ausüben, ob wir konsequent erwerbstätig sind oder ob wir unsere Mutterrolle eher zuhause sehen, wir können es niemandem recht machen.“

Die Mutterrolle sei heute vielfältiger als früher. Mütter stellten heute höhere Ansprüche an sich selbst, auch in Bereichen wie Partnerschaft und Karriere. Eine Ursache dafür sieht Spachtholz in den sozialen Medien, die ständigen Vergleich begünstigen: „Ich glaube, dass wir Mütter […] ein Stück weit in einer Identitätskrise sind.“

Wie gefährlich ist das Phänomen Trandwife?

Ist diese Identitätskrise ein möglicher Erklärungsansatz für das Phänomen der sogenannten [1][„Tradwives“]? Büschelberger sieht in der Sehnsucht nach einem Leben als traditionelle Hausfrau eine Reaktion auf das Scheitern an den vielen Rollen, die Mütter heute erfüllen müssen. Sie erkennt darin auch ein Bedürfnis nach mehr Zwischenmenschlichkeit:„Das wird natürlich von rechts aufgegriffen. Deswegen sehe ich es auch als Bedrohung an.“

Spachtholz warnt ebenfalls vor dieser Entwicklung. Der Trend sei deshalb gefährlich, weil „Tradwives“ ein konservatives Familienbild propagierten, dabei aber verschleierten, dass sie in Wahrheit als Unternehmerinnen agieren. Frauen, die diesen Schein nicht durchschauen, könnten in Abhängigkeiten geraten, insbesondere finanzieller Art, etwa im Fall einer Trennung, wenn der Mann als Hauptverdiener wegfällt.

Ein weiterer Schwerpunkt des Gesprächs ist die gesellschaftliche Anerkennung der Sorgearbeit, die Mütter leisten. Noch immer sei es karriereschädlich, wenn durch Elternzeit Lücken im Lebenslauf entstehen, so Büschelberger.„Wir bauen aber auch Kompetenzen auf in 18 Jahren Begleitung.“ Diese Fähigkeiten blieben jedoch meist unsichtbar.

Wie also muss Mutterschaft neu gedacht werden? Für Büschelberger steht fest: Die Mutterrolle darf nicht länger isoliert betrachtet werden. Stattdessen müsse der Blick auf die Elternschaft insgesamt gerichtet werden, um alte Rollenbilder zu überwinden.

Zudem fordert sie mehr Ehrlichkeit im Umgang mit dem Thema:„Mutterschaft ist anstrengend.“ Auch diese Belastung müsse sichtbar gemacht werden, um überholte Vorstellungen aufzubrechen. Nur so sei ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess über die tatsächlichen Bedürfnisse und Wünsche von Müttern möglich. „Wenn wir die Dinge nicht sehen, können wir sie nicht ändern.“

„Mauerecho – Ost trifft West“ ist ein Podcast der [2][taz Panter Stiftung]. Er erscheint jede Woche Sonntag auf [3][taz.de/mauerecho] sowie überall, wo es Podcasts gibt. Besonderen Dank gilt unserem Tonmeister Daniel Fromm.

19 Oct 2025

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Dennis Chiponda

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