taz.de -- Die Wahrheit: Der schädliche Garten

Stets kamen neue Rechnungen von diesen Fossilienfachleuten – dabei brachten sie doch auch kein Licht ins mysteriöse Dunkel unseres Gartens …

Wir hatten etwa dreihundert Schädel unbekannter Lebewesen im Garten ausgegraben. Dass keine Überreste anderer Körperteile dabei waren, machte die Angelegenheit besonders rätselhaft. Konnten es 75 Mal die Schädel unserer vier Eltern sein? Dagegen sprach, dass sie unseren Eltern gar nicht ähnlich sahen.

Hinzugezogene Spezialisten für Fossilienfunde konnten ebenfalls keine Erklärung finden. Wochen später schickten sie uns noch immer Rechnungen über Zeitaufwendungen wegen grundlosen Hinzugezogenwerdens. Eine war mit der Anmerkung versehen, unsere Geburtshelfer hätten vielleicht einen oder mehrere Fehler gemacht.

Schließlich mussten wir alles zusammenpacken und an eine andere Stelle transportieren lassen, denn der Garten, der sich mit dem Haus gegen uns verbündet hatte, vertrieb uns. Welche Rolle die Schädel dabei spielten, blieb ungeklärt.

Es war nicht die Zeit, darüber zu spekulieren. Schon gar nicht in der Jacke, die wir abwechselnd trugen. Weit wichtiger war für uns die Entscheidung, ob wir die Schädel mitnehmen oder am Grabungsort zurücklassen sollten. Angesichts ihrer ungeklärten Rolle neigten wir zum Zurücklassen, mussten jedoch befürchten, dies könne genau so problematisch werden.

Die Entscheidungsnot raubte uns den Schlaf sowie das Wachsein. Knöpfe an Wäsche und Kleidung wechselten über Nacht ihre Positionen, als hätte sie jemand heimlich abgetrennt und an andere Stellen genäht. Gleichzeitig musste das Haus leergeräumt und alle Habe in Kisten verpackt werden. Es war schwer, einen klaren Kopf zu behalten. Zu unserer Erleichterung übernahm zuletzt ein großer Handwerksbetrieb sämtliche Schädel, um Wasserfilter, Stühle und Lampen daraus zu machen.

Verjüngt wie im Traum

Bald war das Haus entleert und alles in Kisten verpackt. Alle wussten, was Kisten waren. In letzter Minute konnten wir noch den Garten von unseren Fußabdrücken reinigen, damit keine von ihm ausgesandten Häscher aus dem Tier- oder Geisterreich unsere Fährte aufnehmen konnten. Weil die Zeit knapp war, gerieten wir nicht in Versuchung, dabei schnell weitere Schädel auszugraben. Schon setzte sich die Fahrzeugkarawane in Bewegung. Verjüngt wie im Traum, ließen wir nach ein paar Minuten das Ortsschild hinter uns.

Der künftige Wohnort rutschte nur so aus uns heraus mit Haus, Garten und gottgewollter Heizung. Unser neues Haus besaß, wie das alte, eine Rückseite mit Garten, wobei dieser jetzt selbstverständlich ein vollkommen anderer war. Wir hofften sehr, er werde sich niemals zwecks unserer Vernichtung mit dem Haus verbünden.

Hielt man sich an dessen hinterer Seite auf, konnte man interessanterweise sehen, wer vorn vor der Haustür stand. Meist war es der Postbote, der neue Rechnungen von den Fossilienfachleuten einwarf.

30 Sep 2025

AUTOREN

Eugen Egner

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