taz.de -- Kneipenlärm und Ohropax: Nachtunruhe aushalten – das ist ein Großstadt-Skill

Ob Windrad oder Eckkneipe: Für die Nimbys (Not in my Backyard) hört die Toleranz dort auf, wo sie selbst statt andere betroffen sind.
Bild: Letzte Bastion der Sorglosigkeit: ein Café in Berlin

Was haben ein Windrad und eine Eckkneipe gemeinsam? Viele schätzen ihre Existenz, werden aber höchst ungemütlich, wenn ebendiese in der unmittelbaren Nachbarschaft zu finden sind. Skandal! Nicht mit mir! Diese stets empörungsbereiten Mitmenschen haben einen eigenen Namen: [1][Nimbys – die Abkürzung für „Not in my backyard“]. Was für ein knuffiger Name für eine Gruppe, die selbstgerecht bestimmen will, was in ihrer Nähe existieren darf.

Im Kampf um die Deutungshoheit des Kiezes hat eine Berliner Kneipe, das Schwarzsauer, einen Coup gegen die Nimbys gelandet. Sie darf ihren Außenbereich auch nach 22 Uhr geöffnet lassen – so entschied es das Berliner Verwaltungsgericht per Eilbeschluss. In dem wird der Standort als Ausgehviertel beschrieben, wo ohnehin viel Lärm herrsche. In vielen anderen Städten verlieren Bars solche Klagen. Das Urteil könnte anderen Gastronomiebetrieben den Streit gegen die Nimbys erleichtern.

Man kann sich jetzt für diese Berliner Bar und ihre Gäste freuen. Aber warum so selbstlos sein? Der Nimby in dir fragt sich vielleicht: [2][Was juckt mich das Biertrinken der anderen, wenn ich nur den Radau abbekomme und frühmorgens arbeiten muss]? Als Person, die auf der Reeperbahn gewohnt hat, weiß ich, wovon ich rede. Der Dudelsackdienstag des irischen Pubs unter mir und die Besoffenen vor dem Laden verfolgten mich bis in meine Träume. Aber wir müssen da eben durch – so [3][wie bei einem schreienden Baby im Flugzeug]. Rauswerfen geht halt nicht.

In Zeiten von aalglatten Innenstädten, gentrifizierten Bars und fehlenden öffentlichen Begegnungsorten ist das Lokal auf der Ecke die letzte Bastion der Sorglosigkeit. Und in den gefühlt zwei Monaten, wo man in Deutschland lauschig draußen sitzen kann, sollte es nicht daran scheitern, dass jemand über der Kneipe kein Ohropax benutzen will.

So wie die Windräder, die unsere Energiewende vorantreiben, sind die Bars der soziale Kleber einer Nachbarschaft. Und der Lärm ist doch eh da – ob vor dem Späti, auf der Bordsteinkante oder der Bierbank.

Trotz allem bin ich von der Reeperbahn weggezogen (zu laut, zu viel Kotze). Jetzt habe ich ein spanisches Restaurant in meinem Hinterhof – das ist der ewige Kreislauf der Nachtunruhe.

18 Aug 2025

LINKS

[1] /Gemeindebund-Praesident-ueber-Nimbys/!5653476
[2] /Aussengastronomie-in-Hamburg/!6083974
[3] https://www.spiegel.de/reise/urlaub-mit-der-familie-darum-weinen-babys-im-flugzeug-und-das-koennen-eltern-tun-a-7d474250-eca2-4d3c-a29b-944d0d15348c

AUTOREN

Stella Lueneberg

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