taz.de -- Theaterstück mit Texten von Obdachlosen: „Die Leute wissen genau, was sie wie erzählen möchten“

Für das Stück „Volpone – oder der Kampf ums Überleben“ haben Obdachlose die Texte geschrieben. Gezeigt wird es auf der Hamburger Veddel. Ein Probenbesuch.
Bild: Kampf ums Überleben: „Volpone“ erzählt von einer Lebensrealität, die für die Betroffenen oft hart ist

Ein Boxring steht in der Mitte eines stickigen Raumes. Gequält sehen die Personen aus, die darin hintereinander im Kreis laufen. Erst träge und schleppend, dann schmerzerfüllt gekrümmt. Am Ende liegen sie krampfend auf dem Boden. „Sieht mein Hund mich? Der kriegt sonst Angst“, fragt ein Mann. Kurz lockert er damit die Stimmung. Aber schnell wird er wieder ernst. So erfordert es der Moment: Er zeigt, wie sich ein kalter Entzug von Heroin anfühlt.

Das Bild ist eine Szene aus dem Theaterstück „Volpone – oder der Kampf ums Überleben“, das im Rahmen des Projekts „New Hamburg“ entstanden ist. Es erzählt die harte Realität von Obdachlosigkeit und Armut. Ursprünglich ist „Volpone“ eine Komödie des Engländers Ben Jonson aus dem 17. Jahrhundert. Sie erzählt die Geschichte eines kinderlosen, wohlhabenden Venezianers, der seinen baldigen Tod vortäuscht, um Geschenke von Erbschleichern zu erschwindeln, eine Geschichte von Geld, Gier und Täuschung.

Seine Interpretation habe aber „vielleicht drei Prozent, also fast nichts“ damit zu tun, sagt Regisseur Eike Weinreich. Das Original sei weniger eine inhaltliche Orientierung als ein Rahmen, in dem er seine Projektidee ansiedeln konnte. Denn zusammengearbeitet hat Weinreich für das Stück mit Hinz&Kunzt. Das Straßenmagazin wird von Personen in schwierigen Lebenssituationen verkauft – darunter auch viele Obdach- und Wohnungslose.

Das Stück hat Weinreich gemeinsam mit 16 von ihnen geschrieben. Es ist nicht das erste Mal, dass er mit [1][marginalisierten Gruppen arbeitet], schon mehrfach hat er fiktionale Stoffe aus echten Erfahrungen entwickelt – etwa über häusliche Gewalt oder die Fleischindustrie. Er wolle Betroffenen eine Bühne geben, weil das Theater sonst sehr exklusiv sei, sagt er. Dabei sei es so naheliegend, diese Menschen einzubinden. „Das Projekt hat wieder bestätigt, dass die Leute genau wissen, was sie wie erzählen wollen.“

Einer der Teilnehmer*innen ist Markus K.. Knapp zwei Jahre lang war er obdachlos, bis er als Verkäufer [2][beim Straßenmagazin] wieder Fuß fassen konnte. Den Job macht er mittlerweile seit 14 Jahren. Während der Probe achtet er auch darauf, wie zutreffend die Darstellung der Wohnungs- und Obdachlosen ist. Im Boxring stellt eine Schauspielerin einen Zeitungsjungen dar, der immer wieder Menschen anspricht, um die Zeitung zu verkaufen – aber ohne Erfolg. Im Anschluss merkt Markus an: „Es ist unrealistisch, dass der einen Seesack voller Zeitungen hat. So viele Zeitungen hat keiner.“

Die vorherige Szene über den Heroin-Entzug war vor dieser Probe nur ein Monolog im Skript, den der Schauspieler noch nicht auswendig konnte. Nun soll eine Art Choreografie dazu entwickelt werden. Markus zeigt den Schauspieler*innen, wie er den kalten Entzug bei Bekannten von ihm wahrgenommen hat. Er macht die Bewegungen vor, die Schauspielenden folgen ihm. Alle gemeinsam, damit sich Markus nicht herausgestellt fühlt.

Betroffenheitstheater wolle das Stück ausdrücklich nicht sein, betont Weinreich, alle Beteiligten sollen sich als Künstler*innen wahrnehmen. Dass die Arbeit mit einer belasteten Personengruppe dabei nicht immer einfach werden würde, war ihm schon vorher klar: „Das ist tatsächlich einkalkuliert, dass Leute im Grunde wegbrechen“, sagt er. „Nicht, weil sie unzuverlässig sind, sondern weil sie so [3][viele andere Baustellen] in ihrem Leben haben. Wenn wir das einkalkulieren, kann jede*r mit Interesse dabei sein, aber niemand muss.“

Wie der Arbeitsprozess aussah, hing deshalb stark von den jeweiligen Personen ab: „Einige sind zu mir gekommen und haben sich einfach mit mir darüber unterhalten, was sie erzählen wollen. Und ich habe mitgeschrieben“, erzählt Weinreich. Andere wiederum hätten ihre Texte allein geschrieben und in der kommenden Woche mitgebracht.

Viele der Teilnehmer*innen seien zu den Proben gekommen, je nach persönlichen Kapazitäten, sodass Weinreich verschiedene Meinungen zum Stück sammeln konnte. „Damit wir nicht komplett im Trüben fischen, arbeite ich mit den Schauspieler*innen immer eine Passage von 10, 15 Minuten aus“, sagt er. „Und dann kommen die Kolleg*innen von Hinz&Kunzt und sagen einfach was dazu.“

Weinreich kündigt die nächste Szene an. Es geht um die Geschichte einer Person, die aus dem Ausland nach Deutschland gekommen ist, aber hier mit Obdachlosigkeit und Armut zu kämpfen hat. Eigentlich ist ein Aspekt dieser Geschichte noch unklar, der Autor müsste sie genauer erklären – das ist aber nicht so einfach. Die Person sei noch bei keiner Probe da gewesen und „ist auch grade nicht mehr so richtig aufzufinden“, sagt der Regisseur vor Beginn der Szene.

Die Gespräche auf Augenhöhe zu gestalten, sei teilweise herausfordernd gewesen – aber gerade deshalb wichtig, sagt Weinreich. Er wolle mit dem Stück Personen ins Gespräch bringen, die sonst aufgrund ihrer unterschiedlichen sozialen Bubbles [4][wenige Berührungspunkte] haben.

Was die Zuschauer*innen aus dem Stück mitnehmen sollen? „Das ist die Frage, die ich den Leuten immer stelle“, sagt Weinreich. Dabei komme ganz Unterschiedliches heraus. „Häufig auch gar nichts mit Armut oder Obdachlosigkeit, sondern Dinge wie: ‚Genießt euer Leben‘.“

9 May 2025

LINKS

[1] /Inklusiver-Streifen-findet-keine-Spielstaetten/!5458833
[2] https://www.hinzundkunzt.de/
[3] /Obdachlosigkeit-und-Aufbruch/!5931604
[4] https://new-hamburg.de/wp/idee/

AUTOREN

Louisa Eck

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