taz.de -- Die SPD und Saskia Esken: Sozialdemokratische Unkultur
Der Umgang der SPD mit Saskia Esken zeigt: Die rüde Intrige und das kalte Abservieren gehören wieder zur SPD wie die Bratwurst zum Parteitag.
Die SPD war lange berüchtigt für ihre Machtkämpfe. Ihr Umgang mit Verlierern und Verliererinnen sprach allen Solidaritätsappellen Hohn. Der Tiefpunkt dieser Unkultur war der würdelose Rauswurf von Parteichef Kurt Beck, den Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier 2008 einfach vom Hof jagten. War es Zufall, dass Kurt Beck kein Jurist, kein Politikwissenschaftler, sondern der letzte Nichtakademiker in der SPD in einer Führungsposition war?
Ein ähnliches Schicksal ereilte zehn Jahre später Andrea Nahles. Die war seit Jusozeiten gestählt in Machtkämpfen, extrem tough, alles andere als ein Opfer. Aber weil sie bei den WählerInnen nicht besonders beliebt war, war Nahles in einer der zahlreichen SPD-Krisen das ideale Ventil, um aufgestauter Wut Luft zu machen. War es Zufall, dass es eine Frau traf?
Die Partei schien eigentlich aus diesen Tiefpunkten gelernt zu haben. Die GenossInnen gingen manierlicher miteinander um. Der Umgang mit der jüngsten [1][Wahlniederlage] erinnert aber nun finster an früher. Lars Klingbeil griff sich im Moment der Niederlage kühn – oder war es dreist – den Fraktionsvorsitz und servierte Rolf Mützenich einfach ab. Dabei war Klingbeil als Parteichef verantwortlich für Wahlkampf und den Spitzenkandidaten. Und hatte damit weit mehr Anteil an dem Wahldebakel als Mützenich.
Und Saskia Esken? Die sitzt irgendwo am Rande des Bildes und schaut bekümmert in ihre politische Zukunft. Dass sie noch mal zur SPD-Chefin gewählt wird, ist unwahrscheinlich. Ihr eigener Landesverband in Baden-Württemberg hat sie nicht mehr für den Bundesvorstand nominiert. Kein gutes Zeichen. Und in der SPD-Führungsriege findet sich derzeit niemand, der sich vor die Parteichefin werfen will. Esken hat nicht viele Freunde in der SPD, dafür viele Gegner und sehr viele Gegnerinnen. Dass ihr [2][die Herzen der GenossInnen zufliegen], kann man eher nicht sagen.
Die Beharrlichkeit, mit der Esken die öffentliche Schmähungen erträgt, hat etwas Bewundernswertes. Aber wahrscheinlich gibt es Kämpfe, die man nicht gewinnen kann. Dazu scheint Eskens Versuch zu gehören, ihre politische Karriere im Kabinett fortzusetzen.
Und nun? Lars Klingbeil verspricht weiter leutselig Aufarbeitung und personelle Konsequenzen – nur nicht für sich selbst. Dass Mützenich und Esken an dem miserablen Wahlergebnis schuld sind, glaubt niemand. Die rüde Intrige und das kalte Abservieren scheinen wieder zur SPD zu gehören wie die Bratwurst zum Parteitag. Esken wird den Machtkampf wohl verlieren. Besser wird für die SPD damit nichts.
29 Apr 2025
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