taz.de -- Buchenwald-Gedenken: „Das Böse darf niemals wieder siegen“

In Weimar ist an die Befreiung der KZ Buchenwald und Mittelbau-Dora vor 80 Jahren erinnert worden. Ex-Präsident Wulff warnt vor Einbindung der AfD.
Bild: Buchenwald-Überlebender: Alojzy Maciak aus Polen

In Anwesenheit von zehn Überlebenden aus Israel, Polen, Frankreich, Rumänien und Belarus ist am Sonntag in Weimar der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora vor 80 Jahren gedacht worden. Am 11. April 1945 hatten amerikanische Soldaten das Terrorregime der SS beendet.

Der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, Jens-Christian Wagner, erinnerte daran, dass politische Häftlinge, die sich zuvor zusammengeschlossen hatten, noch am selben Tag die Leitung des befreiten Lagers übernahmen. Zu ihrem Widerstand habe auch kulturelle Selbstbehauptung gezählt. Bei der Gedenkfeier war unter anderem ein Stück zu hören, das Józef Kropiński im August 1944 in Buchenwald komponiert hatte.

Thüringens Ministerpräsident Mario Voigt (CDU) sagte in seinem Grußwort, dass Bildung und Kunst gegen das Böse nicht immun machten: „Hier die Stadt der Kultur, der deutschen Klassik – dort ein Ort der Barbarei, der systematischen Entmenschlichung.“ Die Leserin von Schiller könne zur Schreibtischtäterin, der Hörer von Beethoven zum Lagerarzt werden.

Thüringen „Vorreiter in den NS-Staat“

Die Gedenkrede hielt der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff (CDU). Er wies darauf hin, dass die ersten in Buchenwald Inhaftierten im Jahr 1937 Gegner des NS-Regimes, Zeugen Jehovas, Homosexuelle, Sinti und Roma, Menschen, die als arbeitsscheu diffamiert wurden, Menschen mit Behinderungen und Juden waren.

Nach den Novemberpogromen von 1938 seien fast 10.000 jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger nach Buchenwald verschleppt worden, später Menschen aus ganz Europa, viele aus Polen und der Sowjetunion, darunter viele aus der Ukraine. Auch 7.000 sowjetische Kriegsgefangene seien ermordet worden.

Wulff erinnerte daran, dass Thüringen „ein trauriger Vorreiter auf dem Weg in den NS-Staat“ war, und schlug einen Bogen in die Gegenwart. Bereits 1924 sei in Thüringen eine bürgerliche Minderheitsregierung angetreten, die von den Nationalsozialisten toleriert wurde. 1930 sei der NSDAP der Einzug in eine Regierungskoalition mit Bürgerlichen und Deutschnationalen gelungen. „Fast 100 Jahre später hat hier der Nationalsozialistische Untergrund seinen Ursprung. Der NSU mordete quer durch Deutschland friedliebende Familienväter, vorbildliche Kinder von Eingewanderten, die lediglich anders aussahen, als nach deren rassistischer Ideologie Deutsche angeblich auszusehen hätten.“

Wer glaube, man könne die AfD durch Einbindung entzaubern, liege falsch. Rechtsextreme nutzten die Macht, um den liberalen Rechtsstaat auszuhöhlen. Die Forderung der AfD, wer sich der Arbeit verweigere, möge „auf das absolute Existenzminimum in öffentlichen Wohneinrichtungen beschränkt werden“, kritisierte Wulff scharf: „Da ist es zu Arbeitslagern kein großer Schritt mehr.“

Wer angesichts von Begriffen wie rechtsextremer Ideologie und Begriffen wie „Umvolkung“ und „Schuldkult“ nicht Analogien zur Vergangenheit erkenne und sich konsequent abgrenze, mache sich schuldig gegenüber dem Schwur der Überlebenden von Buchenwald: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“ Wulff forderte: „Das Böse darf niemals wieder siegen.“

Es sei grauenhaft, dass Überlebende des NS-Terrors heute in der Ukraine täglich um ihr Leben fürchten müssten und beim Terrorangriff der Hamas auf Israel KZ-Überlebende und Angehörige getötet worden seien.

Boehm: „Anwalt universeller Menschenwürde“

Kurz ging Wulff auf die Causa Omri Boehm ein, den er in Schutz nahm. Der deutsch-israelische Philosoph hatte beim Gedenkakt eine Rede halten sollten, doch diese war laut Gedenkstätte auf Druck von Vertretern der israelischen Regierung abgesagt worden. Sie werfen Boehm [1][die Instrumentalisierung und Relativierung des Holocaust vor.] Der Philosoph hat sich kritisch zum Gazakrieg geäußert.

Wulff sagte dazu: „Ich sehe ihn als Anwalt universeller Menschenwürde mit dem Ziel der Gerechtigkeit, Verständigung und Versöhnung. Omri Boehm und ich verstehen die Empfindsamkeit angesichts des unendlichen Leids der noch immer in Händen der Terrororganisation Hamas befindlichen israelischen Geiseln.“

6 Apr 2025

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Ulrich Gutmair

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