taz.de -- Umkämpfter Wald in Hamburg: Der „Völli“ ist gerettet

Der Vollhöfner Wald, ein wilder Wald in Hamburg, fällt nicht dem Hafen zum Opfer, sondern wird Naturschutzgebiet. Ein Erfolg für die Bürgerbewegung.
Bild: Erfolgreich die Koalitionsverhandlungen beeinflusst: Protest für den Wald vor der Bürgerschaftswahl 2020

Kurz vor dem Ende der Legislaturperiode hat es doch noch geklappt: Der rot-grüne Hamburger Senat hat den „Völli“, also den [1][Vollhöfner Wald, in seiner dienstäglichen Sitzung als Naturschutzgebiet ausgewiesen – das 38. des Stadtstaates]. Das sei „ein großer Erfolg für den Naturschutz“, kommentierte der Vorsitzende des Hamburger Naturschutzbundes (Nabu) Malte Siegert, nicht zuletzt weil hier „die Natur erstmals Vorrang vor der Hafenentwicklung“ habe.

Der Nabu, der BUND und eine Bürgerinitiative hatten fast zehn Jahre lang darum gekämpft, dass das 74 Hektar große Areal, das zum Erweiterungsgebiet des Hafens gehörte, nicht für Lagerhallen plattgemacht wird. Über 60 Jahre hatte sich auf dem ehemaligen Spülfeld für Hafenschlick ein Wald entwickelt – weitgehend ungestört vom Menschen.

Nach Bekanntwerden der Pläne der städtischen Hafenbehörde HPA veranstalteten Umweltschützer Protestspaziergänge im Wald. 15.000 Menschen unterstützten einen Aufruf des Nabu an Hamburgs Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), den Wald nicht anzutasten. Auf dem Höhepunkt des Protests bauten Aktivisten ein Baumhaus im Dickicht, das die Polizei allerdings nach einer Woche räumte.

Bei den [2][Koalitionsverhandlungen Anfang 2020 vereinbarten die Grünen mit der SPD, dass der Wald erhalten bleiben sollte]. Im Gegenzug gaben sie ihren Widerstand gegen die geplante A26 Ost quer durch den Hamburger Süden auf. Sie soll die A7 mit der A1 verbinden.

Die zwei Kompromisse der Grünen

Um das Gebiet zu schützen, mussten sich die Grünen auf weitere Kompromisse einlassen: Am Rande des Gebiets werden zwei Windkraftanlagen errichtet; außerdem wird wildes Grün in ähnlichem Umfang auf dem Gebiet des ehemaligen Fischerdorfes Altenwerder für eine Erweiterung des dortigen Containerterminals freigegeben.

Es sei keine Kleinigkeit gewesen, den Vollhöfner Wald aus dem Hafengebiet herauszulösen, sagte Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne). „Wir haben vom ersten Tag der Koalition daran gearbeitet.“ Die Flächen direkt am Containerterminal dagegen wären wohl über kurz oder lang ohnehin dessen Erweiterung zum Opfer gefallen, spekulierte der Senator.

Der Erfolg auf den letzten Metern vor der Bürgerschaftswahl in zwei Wochen war eine Art Abschiedsgeschenk des Senators – Kerstan tritt nicht wieder an – und zugleich ein Geburtstagsgeschenk an sich selbst, denn er wurde am Tag der Verkündung 59 Jahre alt.

Kerstan zeigte sich zufrieden, dass es ihm in seiner zehnjährigen Amtszeit gelungen sei, fünf neue Naturschutzgebiete in Hamburg auszuweisen und sechs andere zu erweitern. Damit habe Hamburg mehr als 10 Prozent seiner Landesfläche unter Naturschutz gestellt – der Spitzenwert unter allen Ländern, allerdings dadurch begünstigt, dass zu Hamburg auch ein Teil des Nationalparks Wattenmeer gehört.

Frei von menschlichen Eingriffen

Der Nabu-Vorsitzende Siegert nannte die Unterschutzstellung ein Beispiel, an dem zu sehen sei, wie bürgerschaftliches Engagement zu guten Entscheidungen führe. Der Vollhöfner Wald sei das erste Prozesschutzgebiet Hamburgs – die Röhrichte, Laub- und Auwälder mit ihren vielen Höhlen und dem vielen toten Holz können sich weitgehend frei von menschlichen Eingriffen wie etwa der Forstwirtschaft entwickeln. Ausnahmen gibt es für bestehende Anlagen wie ein Spülrohr der HPA und Arbeiten für die künftigen Bahngleise in der Nähe des Gebiets.

Ohne wesentliche Eingriffe sollte das Gebiet mit zunehmendem Alter [3][immer wertvoller im Sinne des Naturschutzes und der Artenvielfalt] werden. Schon heute bewohnen acht in Hamburg gefährdete Fledermausarten die Bäume in dem Gebiet. In der Gewässersohle der angrenzenden Alten Süderelbe gräbt sich der ebenso gefährdete Schlammpeitzger gerne ein und in den Ufergehölzen nistet die Beutelmeise.

Die Biologen fanden auch zwei „Urwaldrelikt-Arten“: den Stutzkäfer Abraeus parvulus, der im Mulm unter der Baumrinde lebt, und den Kurzflügler Quedius trunicicola. Dem [4][Entwurf der Schutzgebietsverordnung] zufolge gehören sie zu „den bundesweit anspruchsvollsten Alt- und Totholzbewohnern“.

18 Feb 2025

LINKS

[1] /Waldbesetzung-lohnt-sich/!5949642
[2] /Koalitionsverhandlungen-in-Hamburg/!5687252
[3] /Geplante-Hafenerweiterung-im-Voelli/!5674540
[4] https://www.hamburg.de/resource/blob/999728/8a479d64f1967c765fd625e35bbb9955/d-begruendung-vollhoefnerweiden-data.pdf

AUTOREN

Gernot Knödler

TAGS

Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland
Umwelt
Naturschutz
Nabu
Waldbesetzung
Jens Kerstan
Hamburger Hafen
Social-Auswahl
Hamburger Hafen
Wald
Hamburg
Biodiversität
Wahl in Hamburg 2025
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Wald
Immobilien Hamburg
Schwerpunkt Klimawandel

ARTIKEL ZUM THEMA

Elbpanorama in Gefahr: Petition für ein paar Pappeln

Hamburg will seinen Hafen mal wieder erweitern. Diesmal soll eine Pappelreihe fallen, die Anwohnern der Elbvororte die Aussicht verschönert.

Protest gegen grüne Umweltsenatorin: Den Wald finden alle toll, nur nicht überall

Auf einem Waldparkplatz traf Hamburgs Umweltsenatorin Fegebank auf Aktivist*innen für Wilhelmsburgs „Wilden Wald“, der Neubauten weichen soll.

Künstlerin über Bäume in der Stadt: „Bäume haben viel zu erzählen“

Bäume sind Teil der Stadtgesellschaft. Julia Nordholz lässt sie in ihrer Hamburger Soundinstallation „Parlament der Bäume“ zu Wort kommen.

Signale vom Weltnaturgipfel: Die Menschheit kann auch anders

Wie wird der Artenschutz ab 2030 finanziert? Die Vertragsstaaten der UN-Biodiversitätskonvention haben Antworten. Deutschland muss jetzt dranbleiben.

Hamburger Regierungsbilanz: Geräuschlose Abräumer

Ganz Deutschland staunt über die stabilen Umfrageergebnisse von SPD und Grünen. Rot-grün schafft es, Konflikte zu befrieden, bevor sie hochkochen.

Verpasste Themen im Bundestagswahlkampf: Natur hat keine Lobby

Schon der Klimaschutz spielt im Wahlkampf eine untergeordnete Rolle. Da hat der essentiell wichtige Naturschutz erst recht keine Chance.

Waldbesetzung lohnt sich: Hamburger Senat stoppt Hafenfraß

Der Vollhöfner Wald ist endgültig dem Hamburger Hafen entzogen. Ein später Sieg für die Besetzer*innen von damals – doch mit einer Schattenseite.

Volksini startet Unterschriftensammlung: Klimaschutz statt Beton

Am Mittwoch beginnt eine neue Volksinitiative. Sie will erreichen, dass in Hamburg nahezu keine weitere Grünflächen mehr bebaut werden.

Waldbesetzungen in ganz Deutschland: Baumhäuser fürs Klima

Hambi, Danni – einige Waldbesetzungen sind bundesweit bekannt geworden. Doch an vielen Orten gibt es auch kleinere Aktionen gegen Rodung.