taz.de -- Deutschlandbild in Argentinien: Kein Schimmer von Scholz und Weidel
In der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires befragt unser Autor die Leute zu SPD, AfD und Co. Besonders eine Annahme über Deutschland überrascht.
Buenos Aires taz | Erkennen Sie diese drei Personen?“, frage ich am Sonntagnachmittag die Menschen, die durch den Abasto, die historische Shoppingmall in Buenos Aires, bummeln. Dabei zeige ich ihnen Schwarz-Weiß-Ausdrucke der Fotos von Friedrich Merz, Alice Weidel und Olaf Scholz, heruntergeladen von der Seite des Bundestags. Während draußen die Sonne die Stadt auf 35 Grad aufheizt, lässt es sich in dem kühlen Ambiente des ehemaligen Obst- und Gemüsegroßmarkts angenehm plaudern.
Das Ergebnis meiner nicht repräsentativen Umfrage: Deutsche Spitzenpolitiker könnten in Argentiniens Hauptstadt völlig unbehelligt einkaufen gehen. Denn im Abasto würde sie niemand erkennen. Während die angespannten Gesichtszüge der rund 25 Befragten das intensive Nachdenken verraten, lautete die Antwort auf meine Frage durchgehend: „Nein“. Auch der Hinweis darauf, dass es sich um Politiker aus Deutschland handelt, ändert nichts daran.
„Die Frau hat mich an Meloni aus Italien erinnert“, sagt Javier und tippt auf das Foto von Alice Weidel. Mit der politischen Ausrichtung käme das schon hin, sage ich und erkläre, dass sie die [1][Spitzenkandidatin der AfD für die Bundestagswahl] ist. „AfD? War da nicht der Auftritt von Elon Musk bei diesem ultrarechten Kongress?“, fragt der Ingenieur jetzt zurück. Er habe das auf der Plattform X gesehen, aber sonst wisse er nichts über die Wahl in Deutschland. Vor Angela Merkel habe er Achtung. „Sie müssen ja nicht einer Meinung mit ihr sein, aber dass sie nicht korrupt ist, bedeutet hierzulande schon viel“, sagt der 37-Jährige.
Die Mär der pünktlichen Deutschen Bahn
Auch Viviana zuckt hilflos mit den Schultern, als sie die Fotos betrachtet. Wer das sei, fragt die 26-jährige Biologiestudentin zurück und fällt mir beim Namen Alternative für Deutschland ins Wort: „Sind das nicht die mit diesem [2][Abschiebeflugticket]?“ Sie habe darüber in [3][der Zeitung Página/12 gelesen]. „Die sind doch so rechtsextrem gepolt wie Milei“, meint sie. Zum Glück gebe es auch in Deutschland vernünftige Menschen. Am Samstag hat sie auf der [4][Demo „Gegen Faschismus und Rassismus“] gegen den libertären Präsidenten Javier Milei gehört, dass in Berlin auch gegen ihn demonstriert wurde.
Deutschland sei ein hoch entwickeltes, gut organisiertes und gut aufgestelltes Land. So lässt sich das Deutschlandbild der Befragten zusammenfassen. Hartnäckig hält sich auch der Glaube, dass in der Bundesrepublik die Züge pünktlich abfahren und ankommen. „Deutschland, das ist die Erste Welt, davon sind wir in Argentinien weit entfernt“, sagt Fernando, der mit seinem Sohn aus der patagonischen Stadt Comodoro Rivadavia zu Besuch in der Hauptstadt ist. „Aber die Angst vor einem Krieg mit Russland geht um“, hat der 46-Jährige von einem Freund erfahren, der mit einer Deutschen verheiratet ist.
Auch ihm sagen die Gesichter auf den Fotos trotz konkreter Hinweise nichts. „Wie Deutschland nach zwei verlorenen Weltkriegen immer wieder zu einer Großmacht aufstieg“, erklärt mir Sohn Valentin. Das habe ihn im Unterricht am Militärgymnasium sehr beeindruckt, sagt der 20-Jährige, und sein Vater nickt zustimmend.
5 Feb 2025
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Bislang wurde unsere Kolumnistin vor allem zur Repräsentantin der deutschen Hochkultur gemacht. Jetzt muss sie auch als AfD-Erklärerin herhalten.
Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz hält es für möglich, dass die beiden Parteien miteinander koalieren – und hofft, unentschlossene Wähler:innen zu überzeugen.
In Mexiko sind Deutsche beliebter als die US-amerikanischen Nachbarn. Doch die deutsche Vergangenheit bleibt präsent und prägt ihre Wahrnehmung.
Alice Weidel ist lesbisch und Chefin der queerfeindlichen AfD. Bei der Parteibasis ist die Volkswirtin beliebt. Wie passt das alles zusammen?
Viele ältere SüdkoreanerInnen verspüren eine Verbundenheit gegenüber Deutschland. Die Millennials blicken ziemlich ambivalent auf die Bundesrepublik.
Nun will auch Argentinien aus der Weltgesundheitsorganisation austreten. Der finanzielle Verlust ist gering, doch das Signal könnte verheerend sein.
Argentiniens Präsident Javier Milei hetzt gegen Feminismus und Geschlechtervielfalt. Die queerfeministische Bewegung organisiert nun den Protest.
Der libertäre Präsident Argentiniens lobt in seiner TV-Ansprache seine schwarze Null. Die rasche Senkung der Inflation hatte einen zu hohen Preis.
Er durfte als erstes ausländisches Staatsoberhaupt dem künftigen US-Präsidenten nach dessen Wahlsieg die Hand schütteln. Beide lobten sich über den grünen Klee, doch sie verfolgen unterschiedliche Ziele.