taz.de -- „Remigration“, Sylt-Video, die Wahlen: 2024 war eine rechtsextreme Horror-Show
Die vergangenen 12 Monate sind an unserem Autor vorbeigezogen, wie eine Gruselserie, die man nicht wegzappen kann. Doch es gibt auch Hoffnung.
Ein Superheld ist 2024 nicht vom Himmel gefallen. Das hat das Horrorgenre so an sich. Und tatsächlich ist dieses Jahr an mir vorbeigezogen wie eine extrem rechte Gruselserie, die sich zudem nicht wegzappen ließ. Ich mache mir Sorgen!
Natürlich nicht erst seit diesem Jahr. Doch hat 2024 mir und uns allen noch einmal vor Augen geführt, wie bedroht Demokratie und Zivilgesellschaft derzeit in Deutschland sind.
Das Jahr war nur wenige Tage alt, da berichteten Journalist:innen von „Correctiv“ über ein [1][rechtsextremes Vernetzungstreffen in Potsdam]. Politiker der AfD, Unternehmer, Mitglieder der Werteunion und Neonazis dinierten im Landhaus Adlon und sprachen über „Remigration“. Und darüber, wie sie ihre extrem rechten Inhalte im medialen und gesellschaftlichen Diskurs platzieren können. Es geht ihnen um die Verschiebung des Sagbaren. Um die Normalisierung menschenfeindlicher Positionen.
Im Frühjahr [2][dann Sylt], und die Erkenntnis, dass neonazistische Parolen in allen Milieus gegrölt werden. Adrett gekleidet und gut gelaunt feierte man in der Pony-Bar in Kampen und versah Gigi D’Agostinos Hit „L’amour toujours“ mit neuem Text. Videos dieser Art gibt es zahlreiche, auch aus anderen Orten.
Nach der Europawahl im Juni und den Landtagswahlen im September machte sich bei mir und vielen anderen ein Gefühl der Ohnmacht breit. Neben den generellen Wahlerfolgen der AfD zeigten Analysen, dass die Partei auch [3][bei den Jüngeren] ziemlich gut abschnitt.
Die [4][Störungen zahlreicher CSDs] im Land im Sommer hatten zuvor schon deutlich gezeigt, dass die hetzerische Stimmungsmache Jugendliche wirklich erreicht. In Bautzen, Zwickau und vielen anderen Städten kam es zu bedrohlichen Szenen. Zwar ist das nichts Neues. Doch war die Mobilisierung des rechten Rands stärker als in den Jahren zuvor. Das Bild bestimmten hier überwiegend junge Männer im Stil der Springerstiefel-Nazis aus den 90ern.
Wäre das Erstarken der extremen Rechten ein schlechter Horrorfilm, ich würde wegzappen. Doch es ist reale Dauerschleife. In derselben Woche, in der Trump wieder Präsident wird, nehmen Einsatzkräfte acht mutmaßliche Rechtsterroristen [5][der „Sächsischen Separatisten“ fest]. Ihre „Umsturzpläne“ sollten uns Mahnung sein, wie schnell rechtsextremes Gedankengut in Handlungen umschlagen kann.
Und kurz vor Weihnachten dann: Magdeburg. Der Thüringer Verfassungsschutz ordnet die Tat, bei der fünf Leute starben, dem rechtsextremen Spektrum zu. In der Folge instrumentalisierten Neonazis und die AfD den Anschlag für ihre Zwecke.
Kürzlich saß ich in einer studentischen Vollversammlung an meiner Universität, zu der die „Studis gegen Rechts“ aufgerufen hatten. Der ganze Hörsaal war voll. „Wer von euch hat Angst vor der nächsten Wahl?“, fragte eine Rednerin. Fast alle der rund 1.500 Anwesenden hoben ihre Hand. Ich auch.
Viele suchen nach Möglichkeiten, um der Drift nach rechts zu begegnen. Die Forderungen nach einem AfD-Verbotsverfahren halten an. Die „Studis gegen Rechts“ fahren zum Parteitag der AfD nach Riesa, um ihrer Angst und Wut Ausdruck zu verleihen. Alles gut und richtig, bloß: Selbst wenn der Parteitag blockiert, die Partei verboten wäre – bestehen würde das Problem weiterhin. Rechte Einstellungen durchziehen unsere Gesellschaft, sie gehen durch alle Schichten und Milieus. Es braucht langfristige Lösungen. Initiativen der politischen Bildung, Deradikalisierung und Beratungsteams sind seit Jahren dort, wo es brennt. Was ihnen fehlt, sind [6][verlässliche staatliche Finanzierungen].
Doch es gibt auch Dinge, die mir Hoffnung machen. Die bundesweiten Massenproteste gegen rechts zu Beginn dieses Jahres, die mutigen Menschen, die trotz der Bedrohungen zu Tausenden CSD feierten. Vielleicht können wir es ja doch: irgendwann das Programm wechseln.
29 Dec 2024
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