taz.de -- Videoportal zwischen Dublin und New York: Die Iren schlagen quer

Ein öffentliches Videoportal soll Menschen in Dublin und New York einander näherbringen. Das klappt nicht so gut wie erhofft.
Bild: Herzliche Grüße aus Dublin nach New York

Zunächst klang es wie eine charmante Idee. Doch schon recht bald war den Dublinern das „Portal“ peinlich. Bei dem handelt es sich um ein Video-Livestreaming-Projekt zwischen New York und Dublin. Die Kunstaktion des litauischen Künstlers Benediktas Gylys ermöglicht es seit Mai, in Echtzeit einen Blick auf das Leben an einem bestimmten Punkt der jeweils anderen Stadt zu werfen. In Manhattan steht dafür ein runder Bildschirm in der Nähe des Flatiron Buildings, in Dublin in der North Earl Street mit Blick auf die Hauptstraße, die O’Connell Street.

Doch schon kurz nach dem Start mussten beide Bildschirme wieder abgeschaltet werden. Der Grund war „unangemessenes Verhalten“, vor allem auf irischer Seite. Gestreckte Mittelfinger oder entblößte Hintern waren eher harmlos, aber Hakenkreuze und Bilder des brennenden World Trade Centers, die in Dublin vor dem Bildschirm hochgehalten wurden, gingen zu weit. Einige Dubliner fürchteten um die irisch-US-amerikanischen Beziehungen. Viele kritisierten die Platzwahl für die Bildschirme, denn die Gegend um die North Earl Street sei eine „Brutstätte für Drogenhandel, Vandalismus und Volltrunkene“, findet zum Beispiel Mary Cahill, eine pensionierte Bibliothekarin.

Dass es auch anders geht, zeigen die Portale, die seit 2021 Litauens Hauptstadt Vilnius und das polnische Lublin verbinden. Sie sind ein voller Erfolg, Zwischenfälle gibt es kaum.

In Dublin wollte man aber nicht aufgeben, schließlich seien die meisten Nutzer anständig geblieben, haben „Tanzwettbewerbe ausgetragen, neue Freundschaften geschlossen und sogar einen Heiratsantrag“ gemacht, so Dublins Oberbürgermeister James Geoghegan.

Tatsächlich stimmt das, meistens geht es vor dem Bildschirm friedlich zu. Ein junger Mann prostete zum Beispiel mit einer Dose Bier seinen New Yorker Freunden zu. Ein anderer fuhr auf einem Motorroller vor und rief mehrmals den Schlachtruf der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) „Tiocfaidh ár lá“ – „Unser Tag wird kommen“ – in den Bildschirm, bis ihn jemand darauf hinwies, dass das Portal keinen Ton überträgt.

Ein globales Netzwerk an Videoportalen

Das Portal sei zu einer der zehn größten kostenlosen Attraktionen der Stadt geworden, es habe seit seiner Aufstellung im Mai über 340.000 Besucher angezogen und der North Earl Street neues Leben eingehaucht, sagte Geoghegan.

Darum gibt es nun Sicherheitsvorkehrungen, um das Projekt am Leben zu erhalten. Das Portal ist jetzt zwischen 13 und 20 Uhr online, und unangemessenes Verhalten führt ab sofort dazu, dass der Bildschirm auf beiden Seiten unscharf wird.

Der New Yorker Standort wird weiterhin während der Betriebszeit von Sicherheitskräften bewacht, so wie von Anfang an. Darüber hinaus wurde ein Zaun vor dem Portal errichtet, um die Besucherströme besser steuern zu können.

Vor Kurzem hat man das Konzept erweitert, nun ist das Dubliner Portal neben New York auch mit Vilnius und Lublin verbunden. Der Livestream wechselt alle drei Minuten zwischen den Städten. Noch in diesem Jahr sollen Piauí in Brasilien und weitere Städte hinzukommen, um ein globales Netzwerk zu schaffen, sagt Gylys, das „die Menschen entfernter Kulturen einlädt, sich über Grenzen, Unterschiede und Erzählungen hinweg auszutauschen“.

Das seien aber nun mal Menschen, die ihren Hintern vor Kameras entblößen, wenn sie es können, meint die Kolumnistin der Irish Times, Brianna Parkins.

Sie sieht das Projekt nüchterner: „Diejenigen, die erwartet haben, dass wir uns über das Portal hinweg an den Händen halten und dabei Akustikgitarren spielen, waren offensichtlich noch nie in Dublin oder New York“, schrieb sie. Seit der Erfindung von Kameras benehmen sich Menschen vor ihnen schlecht. Aber eines eint uns: „In Dublin ist kein Platz für Angeber, und wie New York weigert sich die Stadt, saniert zu werden.“

26 Oct 2024

AUTOREN

Ralf Sotscheck

TAGS

Austausch
New York
wochentaz
Kolumne Stadtgespräch
Social-Auswahl
Dublin
Kolumne Stadtgespräch
wochentaz
Dublin
Kolumne Midlife Monologe
Kolumne Geschmackssache
Kolumne Economy, bitch

ARTIKEL ZUM THEMA

Ärger über polnische Straßenkapelle: Jesus und Maria im Simpson-Look

In Oberschlesien herrscht heiliges Entsetzen über eine Straßenkapelle. Das denkmalgeschützte Bauwerk wurde von Unbekannten neu bemalt.

Spielfilm „Kneecap“ über IRA: Sex, Drugs & HipHop

Dem Film „Kneecap“ wird vorgeworfen, die IRA zu verherrlichen. Die irische Befreiungsbewegung kommt darin aber nicht gut weg. Und lustig ist er auch.

Parlamentswahlen in Irland: Vom Räuber zum Politiker

Gerry Hutch war für einen der größten Raubüberfälle Irlands verantwortlich. Nun tritt er bei den Wahlen an – und will sich für mehr Polizei auf Dublins Straßen einsetzen.

Toxische Männlichkeit: Eppi Aua im Speisewagen

Unsere Autorin saß mit betrunkenen, pöbelnden Männern im Zug. Alle Reisenden duckten sich weg und überließen kampflos das Revier.

Comfort Food zum Nachkochen: Essbare Übergangsobjekte

Kennen Sie den Unterschied zwischen Soul Food, Comfort Food und Convenience Food? Yotam Ottolenghi tut das – und hat ein Kochbuch draus gemacht.

EZB senkt Leitzins: Brat-Alarm bei der Europäischen Zentralbank

EZB-Chefin Lagarde rief ihren eigenen Brat Summer aus und senkt den Leitzins. Was das für alle Brats bedeutet.