taz.de -- Drummerin Katharina Ernst: „Ein Schlagzeug ist nicht sittsam“

Die Musik von Katharina Ernst ist avantgardistisch, aber erstaunlich zugänglich. Ihr Schlagzeug nutzt sie perkussiv, aber auch als Melodieinstrument.
Bild: Die Schlagzeugerin Katharina Ernst spielt am Donnerstag beim Berliner Festival „Heroines of Sound“

Schlagzeugspiel als Gesellschaftskommentar? In den Augen von Katharina Ernst ist es das – schon gar, wenn man dem Instrument Polyrhythmisches entlockt, wie sie es tut. Nicht nur mit Blick auf das Projekt „Polylog“, an dem sie aktuell arbeitet, bringt sie sein dialogisches Potenzial ins Schwärmen.

Schlagzeug lernt die 36-Jährige, die in Wien aufwuchs und in Berlin lebt, seit sie neun Jahre alt war; mit zwölf entdeckte sie die Polyrhythmik: „Eigentlich ließ es mich nicht mehr los, seit mir mein Lehrer, ein Jazz-Student, damals erklärte, wie 2 gegen 3 geht (Anm: dabei spielt man Triolen über gerade Achtel).“

Kein konkretes Stück begeisterte sie, eher die Idee an sich. Heute erklärt sie ihre Faszination unter anderem damit, dass „verschiedene, sich überlagernde Rhythmen ein abstraktes, aber doch geeignetes Modell dafür sind, wie Gesellschaft funktioniert.“

Schon auf ihrem Albumdebüt „Extrametric“ (2018) – neben dem Schlagzeug kommen da unter anderem ein Drum-Synthesizer, Gongs und eine verstärkte Kalimba zum Einsatz – entsteht aus geklöppeltem Chaos eine Struktur, ein immersives Ganzes. Trotz der avantgardistischen Anmutung klingt das erstaunlich zugänglich – was auch daran liegt, dass Ernst ihr Schlagzeug nicht nur perkussiv einsetzt, sondern auch als Melodieinstrument.

Die Textur von Sound

Aus der Welt des Jazz, erzählt Ernst, sei sie früh zur freien improvisierten Musik abgebogen. „Plötzlich ging es nicht mehr um Rhythmus und Funktion, sondern um die Textur von Sound – wie klingen Metalle zueinander, welche Struktur kann ich dem Klang geben? Solche kompositorischen Abwägungen gehen dann schon sehr in Richtung Melodiedenken.“

Weil ihr bald klar war, dass ein Jazzstudium, so konservativ wie es seinerzeit aufgebaut war, nichts für sie ist, studierte sie Malerei. Bis heute schöpft sie aus Synergieeffekten zwischen Bildender Kunst und Musik – weswegen sie sich beim Interviewtermin ganz glücklich zeigt, dass ihr gerade für ihr Projekt „metrics“ der H13-Preis des Kunstraum Niederösterreich zuerkannt wurde – landesweit der einzige Preis für Performance als Medium der Bildenden Kunst.

Darum, Räume nicht nur akustisch, sondern auch visuell zu gestalten, geht es jedoch auch bei den Projekten, an denen sie aktuell arbeitet: unterschiedlichste Ansätzen, beide jedoch KI-basiert.

Uraufführung mit Avatar

Im crossmedialen Stück „the weird&the eerie“ von Regisseur Michael v. zur Mühlen, unter anderem mit [1][Andreas Spechtl] (von der Band Ja, Panik), wird man ihrem eigenen Avatar begegnen, uraufgeführt wird es Ende August beim [2][Kunstfest in Weimar]. Für sie auch eine Beschäftigung mit der Frage: „Wie treten wir in Kontakt mit all dem, was keinen Körper hat?“ Und was folgt daraus, dass sich Bewusstseinszustände – etwa der, dass Menschen „ins Narrenkastl schauen“ (wie man es in ihrer Heimat so schön beschreibt, wenn Leute ins Leere starren) – durch das Digitale verändern?

„Heute kleben Leute am Smartphone. Dabei findet keine Entrückung statt. Der virtuelle Raum besetzt den Platz, der früher zumindest manchmal etwas Geistigem gehörte“. Dieser andere Raum interessiert sie. Grundsätzlich sei sie im Hinblick auf KI sehr skeptisch und tue sich schwer, damit zu experimentieren – wie es letztlich ja auch bei dem Stück geschieht. Doch Ernst ist lieber, dass „Leute, die ‚the weird&the eerie‘ gesehen haben, mit Fragen nach Hause gehen, statt lustig mit KI-basierten Apps herumzuspielen.“

Bei „Polylog“, das sie zusammen mit ihrem Partner, dem Fotografen und Videokünstler Michael Breyer, und Atelier E, einem interdisziplinären Studio für Digitales, realisiert, übernimmt die KI dagegen eine zuhörende, interpretierende Funktion. Durch Mapping – dabei wird programmiert, was akustisch oder visuell zusätzlich passiert, wenn Ernst zum Beispiel ihre Snare laut oder leise anschlägt – entsteht ein beweglicher multimedialer Raum. „Ein fluides Hin- und Herschwingen zwischen Simplizität und Chaos“ soll am Ende des Prozesses stehen.

Frauen unterrepräsentiert

Bevor das live zu erleben ist, wird Ernst „Extrametric“ noch einmal auf die Bühne bringen, beim feministischen [3][„Heroines of Sound“] Festival. Der Schwerpunkt der dreitägigen Veranstaltung liegt in diesem Jahr auf Schlagzeug, Perkussion und Stimme.

Wobei natürlich die Frage unvermeidbar ist, warum schlagwerkende Frauen in allen Genres stark unterrepräsentiert sind? Ernst macht sich Luft – auch wenn ihr persönlich der Umstand, dass sie in ihrer Jugend oft die einzige war, eher Türen öffnete als sie ausschloss: „Vermutlich ist es einfach die alte Leier: Es ist nicht sittsam. Nicht leise. Ein Schlagzeug nimmt Raum und entschuldigt sich nicht. Grundsätzlich eine gute Voraussetzungen für: Ist nix für Frauen.“

Denen, sie sich ebenfalls nicht ausbremsen ließen, gehört diese elfte Festivalausgabe. Auch die Komponistin Julia Mihály, neben der Festivalgründerin Bettina Wackernagel dieses Jahr Gastkuratorin, beschäftigt sich in der Neubearbeitung ihres Stückes „18WEST – Songs für den Untergang“ mit der Frage, was Klang mit Politik und Gesellschaft zu tun hat. Aufhängen wird sie das unter anderem an der Frage: Wie hat sich die Soundästhetik von Protest verändert? Und was ist gleich geblieben? Für etwas getrommelt wird schließlich immer.

8 Jul 2024

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AUTOREN

Stephanie Grimm

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