taz.de -- Krimi-Serie „The Tourist“: Reise nach Irland: miese Idee

In der schwarzhumorigen Serie „The Tourist“ haben es Entführer auf einen jungen Mann abgesehen. Die vielen absurden Wendungen sind ein Genuss.
Bild: Der Bart muss ab

Der voluminöse Rauschebart, den Elliot (Jamie Dornan) zum Auftakt der 2. Staffel von „The Tourist“ trägt, wirkt irgendwie gekünstelt. Der Schaffner klopft, weil [1][aus dem Schlafabteil] auffällig viel Rauch dringt, als ob dort jemand Dope raucht. [2][Der Zug], das muss man sich zusammenreimen, rollt gerade durch Vietnam gen Kambodscha.

Nein, nein, wir rauchen nicht, lügt Elliot dreist. Der uniformierte Beamte ist nun erst recht misstrauisch und will wissen, wer sich da im Bett versteckt? Es ist Helen (Danielle Macdonald), die Freundin von Elliot. Und was ist das? Auf dem Boden liegt ein stählernes Feuerzeug mit dem Schriftzug „Vietnam“ und „Gay“ – das gefällt dem Schaffner gar nicht. Elliot aber kann sich aus der Situation gewieft herauswinden. Tür zu, ab ins Bett. Da wartet eine Überraschung auf ihn.

Helen hat einen Brief dabei und hält jetzt den Zeitpunkt für gekommen, ihn Elliot auszuhändigen. Denn der kann sich echt an nichts erinnern: Er leidet an Amnesie. Und im Brief steht, dass ihn ein gewisser Tommy von früher kennt – aus [3][Irland]. Er hat ein Foto beigelegt, was die beiden in jungen Jahren zeigt. Komm doch auf die grüne Insel! Und flugs machen sich beide auf den Weg, um mehr über Elliots Vergangenheit zu erfahren. Wirklich keine gute Idee, wie wir bald sehen werden.

Hauptsache Überleben

Um das Ganze zu verstehen, hier ein Rückblick in die ziemlich geniale 1. Staffel dieser internationalen Produktion im Auftrag der BBC: Die trägt den Titel „The Tourist – Duell im Outback“ und spielt dementsprechend in Australien. Dort wird Elliot bei einen Autounfall verletzt und überlebt, hat aber weder Handy noch Ausweis, schon gar keine Erinnerungen zur Hand.

„Manchmal kann es ja besser sein, nicht zu wissen, wer du ist oder was du getan hast“, sagt eine Frau zu Elliot. Na ja, das stimmt vielleicht. Aber wenn du von Killern verfolgt wirst, die dich umbringen wollen, wäre es sicher hilfreich zu wissen, wieso, weshalb, warum. Schauen Sie am besten die 1. Staffel vor den neuen sechs einstündigen Folgen in der Mediathek, es lohnt sich.

Und die Thriller-Groteske, wie das mitproduzierende ZDF diese Serie zurecht nennt, hält ihr Niveau. „Der Wahnsinn geht weiter“ haben die Kolleg:innen von TV Spielfilm über den „Psychothriller mit Lach- und Horrorelementen“ geschrieben. Auch das trifft es perfekt.

In Irland angekommen, muss zunächst aber dieser doofe, viel zu lange Rauschebart ab. Elliot hat eine Bartschneidemaschine dabei und trimmt das Gesichtshaar auf ein ästhetisches Minimum, als ihn drei vermummte Gestalten kidnappen. Elliot kann sich aber noch mal aus dem kleinen Lieferwagen befreien – dann folgt eine (erste) wilde Verfolgungsjagd: Immer den Hügel hoch, der Wagen kackt ab, und Elliot kugelt den Hügel auf der anderen Seite hinunter … Das hat Slapstickqualitäten, die von der guten Sorte, und es gibt sie in den Folgen immer wieder.

Dieser schwarze Humor macht Spaß, weil er völlig unerwartet daherkommt. Genau so wie manche Musikstücke (Tschaikowski!). Aber auch Ausbrüche von brutaler Gewalt und gruselige oder perfide Momente. Und es gibt so unglaublich viele Einfälle und Wendungen – das ist beste und spannende Unterhaltung. So machen die (etwas unterbelichteten) Kidnapper Elliot ein Angebot zur Flucht: Säge dir die Beine ab, dann lassen wir dich gehen. Die spinnen, die Iren!

2 Jun 2024

LINKS

[1] /Nachtzug-nach-Surat-Thani/!6012812
[2] /Nachtzug-von-Paris-nach-Latour-de-Carol/!5974558
[3] /Irland/!t5008739

AUTOREN

Andreas Hergeth

TAGS

Krimis
Wochenendkrimi
Irland
Humor
Serien-Guide
Krimis
ZDF
Wochenendkrimi
Wochenendkrimi
Serien-Guide
Wochenendkrimi

ARTIKEL ZUM THEMA

Kult-Krimiserie „Liebling Kreuzberg“: Hier wird nicht gemordet

Die Kult-Serie „Liebling Kreuzberg“ zeigt das raue Westberlin kurz vor der Wende. Kiezanwalt Liebling muss sich dort mit Kleinganoven rumschlagen.

ZDFneo-Serie „Der Schatten“: Mit dem 71er zum Zentralfriedhof

In der ZDFneo-Serie „Der Schatten“ wagt eine Journalistin ihren Neustart in Wien. Doch kippt die Stimmung, als eine Bettlerin ihr Unheil prophezeit.

ZDF-Krimi „Dunkle Wasser“: Reich müsste man sein!

Das Ermittlerpaar in „Dunkle Wasser“ untersucht einen mutmaßlichen Suizid in den österreichischen Alpen. Oder war's vielleicht doch Mord?

„Polizeiruf“ aus Magdeburg: Wenn Claudia Michelsen influenct

Weniger eine Geschichte über das Internet, sondern über die Sehnsüchte junger Frauen: Der „Polizeiruf“ aus Magdeburg lebt von etwas ganz anderem.

Überfälliger ARD-Tatort: Vietnam in Lichtenberg

Der Tatort „Am Tag der wandernden Seelen“ erzählt einen klischeefreien Krimi zwischen Berlin-Lichtenberg, Nord- und Südvietnam. Das war überfällig.

TV-Schimmelreiter goes Klimakrise: Durchtherapierte Schnippigkeit

Viel Bohei wird gemacht, weil Robert Habeck, Ehemann der Schriftstellerin Andrea Paluch, an der Romanvorlage zu dem Film mitgewirkt hat. Alles umsonst!