taz.de -- Tödliche Polizeischüsse in Nienburg: Wegen rechter Posts außer Dienst

taz-Recherchen führen zu dienstrechtlicher Ermittlung gegen einen Diensthundeführer der Polizei, der am tödlichen Einsatz in Nienburg beteiligt war.
Bild: Hier fielen die tödlichen Schüsse: Warum der Einsatz so eskalierte, ist immer noch unklar

Hannover taz | Die Polizeidirektion Göttingen hat einem Beamten aus Nienburg das Führen der Dienstgeschäfte vorläufig untersagt. Der Diensthundeführer war [1][an dem tödlichen Polizeieinsatz vom Karsamstag in Nienburg beteiligt], bei dem der 46-Jährige Gambier Lamin Touray von acht Schüssen getroffen und getötet wurde. Eine Polizistin wurde dabei ebenfalls von Polizeikugeln getroffen und schwer verletzt.

[2][Recherchen der taz hatten enthüllt,] dass der Hundeführer unverhohlen rechte und verschwörungsideologische Inhalte in sozialen Netzwerken teilte und kommentierte. Am Donnerstagabend gab die Polizeidirektion Göttingen nun bekannt, deshalb dienstrechtliche Ermittlungen aufgenommen zu haben.

Das „außer Dienst stellen“ ist dabei der übliche erste Schritt. Er dient dazu, die Vorwürfe zu prüfen und Beweismittel zu sichern. Innerhalb von drei Monaten muss dann ein Disziplinarverfahren eröffnet werden oder der Beamte kehrt in den Dienst zurück.

Dieses dienstrechtliche Verfahren läuft unabhängig von dem Ermittlungsverfahren rund um den tödlichen Einsatz, betont die Polizei Göttingen [3][in ihrer Pressemitteilung.] Diese Ermittlungen werden von der Staatsanwaltschaft Verden geführt.

Widersprüchliche Darstellungen des Einsatzes

An dem Einsatz vom Karsamstag hatte es früh Kritik gegeben, weil es Widersprüche zwischen der Darstellung der Polizei und der von Angehörigen und Freunden gab.

Während es in den ersten Polizeimeldungen zum Vorfall hieß, Lamin Touray habe seine Freundin mit einem Messer bedroht, gab diese später an, sie sei gar nicht bedroht worden, sondern habe mehrfach versucht, Hilfe für ihren Freund zu bekommen.

Der soll sich schon seit Tagen in einem sich verschlimmernden psychischen Ausnahmezustand befunden haben. Sie habe deshalb befürchtet, er könnte sich mit dem Messer selbst etwas antun.

Die Polizei war mit einem massiven Kräfteaufgebot von 14 Polizeibeamten vor Ort. Videos zeigen wie der mit einem Messer bewaffnete Lamin Touray auf der Terrasse des von ihm bewohnten Mehrfamilienhauses steht und von ihnen fast umringt ist.

Dabei sollen auch mindestens ein, möglicherweise zwei Diensthunde eingesetzt worden sein. Zu dem großen Aufgebot kam es nach Angaben der Polizei auch deshalb, weil der Mann schon Tage zuvor bei einer Fahrkartenkontrolle auffällig geworden war und sich gewaltsam gegen die Festnahme durch Bundespolizisten gewehrt haben soll.

Ermittlungen dauern an

Fest steht: Es gelang der Polizei nicht, die Lage zu deeskalieren. Anwesende Zeugen, die Touray nahe standen, kritisierten später, man habe das auch nicht ernsthaft versucht, und zum Beispiel die Freundin nicht mit ihm sprechen lassen.

Die zunächst relativ statische Lage eskalierte als Touray nach einem der Hunde stach, unklar ist, ob dieser zuvor auf ihn gehetzt wurde. Es kam zu einer massiven, unkoordinierten Schussabgabe durch mehrere Beamte, bei der auch die Polizistin verletzt wurde.

Den genauen Hergang und ob dabei Fehler gemacht wurden, muss nun das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft klären, bei dem auch [4][die Bodycam-Aufnahmen] der eingesetzten Beamten ausgewertet werden.

26 Apr 2024

LINKS

[1] /Toedlicher-Polizeieinsatz-in-Nienburg/!5999138
[2] /Toedliche-Polizeischuesse-in-Nienburg/!6002012
[3] https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/7452/5766075
[4] /Protest-gegen-Polizeigesetz/!5980391

AUTOREN

Nadine Conti

TAGS

Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Tödliche Polizeischüsse
Polizei Niedersachsen
Messerattacke
Psychiatrie
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
GNS
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Polizeigewalt
Polizei Niedersachsen

ARTIKEL ZUM THEMA

Nach tödlichen Schüssen auf Lamin Touray: Keine Verfahren gegen Polizisten

Die Staatsanwaltschaft Verden stellt die Ermittlungen gegen alle 14 Polizist*innen ein – auch die gegen den suspendierten rassistischen Beamten.

Nennung der Nationalität durch Polizei: FDP will Täter-Herkunft wissen

FDP-Generalsekretär Djir-Sarai will, dass die Nationalität von Verdächtigen in Polizeimeldungen auftaucht. In NRW hat die CDU das schon beschlossen.

Polizeieinsatz in Hamburg: Schüsse werfen Fragen auf

Ein Mann bedroht auf der Reeperbahn mit einem Schieferhammer und Molotowcocktail Umstehende. Die Polizei schießt. Musste das sein?

Tödliche Polizeischüsse in Nienburg: Zweifel an rechter Gesinnung

Bodycam-Aufnahmen zeigen, dass die Schüsse in Nienburg nach dem Einsatz eines Diensthundes fielen. Hundeführer postet im Netz extrem rechte Inhalte.

Kriminologe über Polizeischüsse: „Fehlerhaftes polizeiliches Handeln“

Der von Polizisten erschossene Lamin Touray war in einer psychischen Krise. Warum greift die Polizei bei psychisch Kranken so schnell zur Waffe?

Tödlicher Polizeieinsatz in Nienburg: Bei Notruf Todesschuss

Am Karsamstag erschoss die Polizei einen 46-jährigen Gambier. Die Schilderungen mehrerer Augenzeug*innen und ein Video werfen Fragen auf.