taz.de -- Nahid Taghavi aus Haft entlassen: Zuckerbrot und Peitsche
Nahid Taghavi ist aus dem berüchtigten Evin-Gefängnis entlassen worden. Mit der Entlassung der Deutschen will der Iran Deutschland milde stimmen.
Die deutsche Staatsbürgerin Nahid Taghavi wurde vorübergehend aus iranischer Haft entlassen. Die 69-Jährige wurde im Oktober 2020 während einer Reise in ihrer Heimat von der Revolutionsgarde festgenommen, [1][200 Tage in Isolationshaft psychisch gefoltert] und schließlich in einem Scheinprozess vom Richter Iman Afshari zu zehn Jahren und acht Monaten Haft verurteilt.
Dass sie nun in einen Hafturlaub entlassen wurde, lässt kurz aufatmen. Taghavi benötigt dringend medizinische Behandlung. Im Juni 2023 schlug ihre Mitinsassin und aktuelle [2][Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi] in einem Brief aus dem Evin-Gefängnis Alarm. „Sie kann kaum noch aus dem Bett steigen“, schilderte Mohammadi den Gesundheitszustand Taghavis. „Der Schmerz ist so stark, dass man ihn klar auf ihrem Gesicht sehen kann.“
Die gelernte Architektin hat durch die Monate der Isolationshaft massive gesundheitliche Beschwerden davon getragen, wie beispielsweise Diabetes, Bluthochdruck und Probleme an der Halsbandscheibe. Eine angemessene Behandlung wurde ihr in Haft verweigert.
Der Hafturlaub bietet ihr in der Theorie die Möglichkeit, sich angemessen behandeln zu lassen. Doch die elektronische Fußfessel, die ihr aufgezwungen ist, lässt lediglich Bewegung in einem Umkreis von 1.000 Metern zu. Ihre Behandlung wird also nur mit großem Aufwand und zusätzlichem Stress möglich sein.
Die Bundesregierung sollte sich den vorübergehenden Hafturlaub nicht zu sehr auf die eigene Karte schreiben. Ohne den massiven öffentlichen Druck Taghavis Tochter Mariam Claren in Deutschland wäre dies wohl nicht möglich gewesen. Die Entlassung Taghavis ist zudem eine politische Entscheidung des Regimes in [3][Iran]. Täglich werden Gefangene derzeit hingerichtet, zum großen Teil mit absurden und nicht nachweisbaren Anschuldigungen. Auch der deutsche Staatsbürger Jamshid Sharmahd sitzt nach wie vor in einer Todeszelle und könnte jeden Moment hingerichtet werden.
Mit seinem Zuckerbrot-und-Peitsche-Spiel möchte das Regime die deutsche Bundesregierung milde stimmen. Was es braucht, sind ernsthafte Bemühungen der Bundesregierung, die Freilassung aller Geiseln zu erwirken.
10 Jan 2024
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