taz.de -- Die Wahrheit: Antisemitische Luft
„Das darf man ja heute nicht mehr sagen!“ ist keine Alleinstellungsfloskel tumber Wutbürger, sondern auch Mantra jedes aufrechten Israelkritikers …
Dass sich ausgerechnet die Klemmnazis der AfD über den importierten Antisemitismus so ereifern, wird oft als absurd wahrgenommen. Dabei ist es doch nur folgerichtig. Wer freut sich schon gerade bei einem seiner Markenkerne über noch mehr Konkurrenz, zumal der Markt ohnehin bereits so heiß umkämpft ist? Denn auch die aufgeregt nach links und Süden zeigenden Bürgerlichen von CDU/CSU und FDP müssen ja gut aufpassen, dabei nicht so vehement herumzufuchteln, dass man hinter ihnen versehentlich in den Einschlagkrater von Jürgen W. Möllemann oder den Tornister ihres Koalitionspartners Aiwanger blicken kann.
Ungeachtet dessen allerdings zeigen sie schon auch auf die Richtigen. „Israelkritisch“ hat es inzwischen ja bereits zu einem eigenen Duden-Eintrag gebracht, anders als „russlandkritisch“, „chinakritisch“ oder „takatukalandkritisch“, von „deutschlandkritisch“ ganz zu schweigen. Wir dürfen gespannt sein, wann das Finanzamt „Israelkritiker“ endlich als Berufsbezeichnung anbietet, verdienen lässt sich damit jedenfalls offenkundig recht auskömmlich. Das Weltfinanzjudentum guckt schon ganz neidisch!
Ein Bonus-Ärgernis am Rande ist es, dass die Linken dabei nicht nur die Inhalte, sondern auch die Rhetorik von rechts übernehmen. „Aber das darf man ja heute nicht mehr sagen!“ ist längst nicht mehr die Alleinstellungsfloskel tumber Wutbürger, sondern auch das Mantra jedes aufrechten Israelkritikers.
Dabei kann man tatsächlich ganz problemlos so wie ich beispielsweise Netanjahu für einen gefährlichen Rechtspopulisten und die Siedlungspolitik im Westjordanland für grundfalsch halten, ohne dass deswegen irgendjemand mit der Antisemitismuskeule daherkommt – eine Waffe übrigens, deren Wirksamkeit angesichts der Lage in Deutschland und der Welt ganz offensichtlich gleich hinter durch die Luft flitschenden Weckgummis kommt.
Naive Begeisterung für Exotisches
Als ich vor 35 Jahren als interrailender Jugendlicher in einem internationalen Zeltlager kurz Freundschaft mit Nordafrikanern schloss, tat ich das wohl auch aus einer naiven Begeisterung für ihre mir exotisch erscheinende Herkunft. Und weil sie Bier dabeihatten, natürlich. Sie dagegen offenbarten mir nach zweien davon, dass sie mich ebenfalls wegen meiner Herkunft mochten: Die Deutschen hätten schließlich wenigstens mal was gegen die Juden getan!
Auch bei meinen Reisen in Südamerika wurde ich oft aus zwei mir ausgesprochen lästigen Gründen besonders herzlich aufgenommen: weil die Deutschen im Fußball so gut und weil sie ja auch gegen die Juden seien. Aber auch das sind sicherlich nur Fälle wohlbegründeter Israelkritik. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!
Als der UN-Generalsekretär António Guterres anmerkte, das Massaker der Hamas vom 7. Oktober habe „nicht im luftleeren Raum“ stattgefunden, hatte er zweifellos recht. Doch was diesen Raum füllt, hat einen einfachen Namen: Antisemitismus.
10 Nov 2023
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