taz.de -- Nahost-Konflikt: Tiefe Wurzeln eines Krieges
Nach dem Überfall der Hamas auf Israel ist der Nahost-Konflikt wieder neu aufgeflammt. Dabei hat der Zwist eine lange Vorgeschichte.
Beirut taz | Der jüngst neu aufgeflammte [1][Konflikt zwischen Israel und den Palästinenser*innen] hat eine lange Vorgeschichte. Zwischen 1872 und 1917 war der Distrikt Palästina Teil des Osmanischen Reichs. 85 Prozent der Einwohner*innen waren muslimischen, 10 Prozent christlichen und 5 Prozent jüdischen Glaubens. Mit dem Konzept der Nationalstaaten und Nationalbewegungen gegen die Osmanen Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Menschen sich als Araber*innen zu identifizieren. Von Anfang des 20. Jahrhunderts an betrachteten Araber*innen in Palästina dann Palästina als ihr Heimatland.
Ebenfalls entstand eine jüdische Nationalbewegung, die für Jüd*innen den Status einer eigenen Nation mit dem Recht auf ein eigenes Staatsgebiet beanspruchte: der Zionismus. Dessen Begründer war Theodor Herzl. Weil die Jüd*innen der [2][Bedrohung des Antisemitismus] ausgesetzt waren, obwohl sie versuchten, sich an die Umgebung zu assimilieren, sei die einzige Lösung die Gründung eines „Judenstaates“. In der gleichnamigen programmatischen Schrift aus dem Jahr 1896 entwarf Herzl Pläne zu Aufbau, Masseneinwanderung, Finanzierung und Gemeinwesen dieses Staates. Dabei schlug er als mögliches Territorium Argentinien oder Palästina vor.
Zwischen 1904 und 1914 flohen 30.000 Jüd*innen aus Osteuropa, Russland, Rumänien und Jemen nach Palästina, weil sie durch Massenmorde und Pogrome vertrieben wurden. In Bauernkollektiven wollten die Zionist*innen sozialistische Utopien von Freiheit und Gleichheit verwirklichen – das waren die Anfänge der Kibuzzim. Zum Ende des Ersten Weltkriegs, 1920, fiel Palästina unter britisches Mandat. Am 2. November 1917 schrieb der britische Außenminister Arthur James Balfour einen Brief an den britischen Zionisten Lionel Walter Rothschild: „Die Regierung seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina und wird größte Anstrengungen unternehmen, die Erreichung dieses Zieles zu fördern.“ Die Balfour-Deklaration gilt als Wegbereiter für einen jüdischen Staat.
1948 endete das britische Mandat über Palästina
Durch den Zweiten Weltkrieg und den nationalsozialistischen Völkermord an rund sechs Millionen Jüd*innen, der Schoah (Katastrophe), wurde das spätere und heutige Israel zum wichtigsten Zufluchtsort für Jüd*innen. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde deutlich, dass ein friedliches Zusammenleben in Palästina kaum möglich war – Großbritannien wollte die Kosten der Mandatsherrschaft nicht mehr tragen.
Die Briten übergaben an die Vereinten Nationen, die eine Teilung des Landes vorschlugen. Der 1947 veröffentlichte UN-Teilungsplan sah die Gründung eines arabischen und eines jüdischen Staates vor, der mehr als die Hälfte des Mandatsgebiets ausmachen sollte. Die arabischen UN-Mitglieder lehnten den Plan ab. Am 14. Mai 1948 endete das britische Mandat über Palästina, am selben Tag wurde der Staat Israel ausgerufen.
Im Jahr 1945 lebten etwa eine Million Jüd*innen in den verschiedenen arabischen Staaten, doch sie hatten nicht dieselben Rechte wie ihre muslimischen Mitbürger*innen. Sie mussten extra Steuern zahlen und hatten mit ähnlichen Vorurteilen zu kämpfen wie in Europa. Teilweise mussten sie in Ghettos leben. Bereits vor 1948 gab es antijüdische Pogrome, wie beispielsweise 1941 in Bagdad.
Als die Araber die Entscheidung der Vereinten Nationen, Palästina zu teilen und einen jüdischen Staat zu gründen, ablehnten, wurden die Jüd*innen der arabischen Länder zur Zielscheibe der antizionistischen Haltung ihrer eigenen Regierungen. In den Jahren 1947 und 1948 wurden sie in Algerien, Ägypten, Irak, Libyen, Marokko, Syrien und Jemen verfolgt, ihr Eigentum und ihre Habseligkeiten wurden beschlagnahmt und sie wurden Opfer schwerer antijüdischer Ausschreitungen.
26 Oct 2023
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