taz.de -- Klimawandel und Wetter: Das verrückte Wetter
Überall ist es heiß, brennt oder steht alles unter Wasser – nur in Deutschland merkt man die Klimakrise nicht. Oder?
1. Mir war jetzt wochenlang kalt. Vielleicht wird das in Deutschland doch nicht so schlimm mit dem Klimawandel?
Stimmt, es gab gerade hierzulande eine kühl-feuchte Phase. Aber: Wetter ist chaotisch, daran ändert auch die Klimakrise nichts (ganz im Gegenteil). Die Treibhausgase, mit denen der Mensch die Atmosphäre belastet, verändern das Wetter aber grundsätzlich – das ist das Klima. Ausreißer nach oben oder unten gibt es dennoch weiter. Insgesamt hat sich auch Deutschland schon enorm aufgeheizt. Schaut man auf die lineare Entwicklung der Durchschnittstemperaturen, kommt man auf eine Steigerung von bereits 1,7 Grad. So geht zum Beispiel der Deutsche Wetterdienst vor. Es gibt allerdings Klimaforscher:innen, die damit unzufrieden sind. Sie sagen: Die Temperaturkurve lässt sich nicht gut linear beschreiben, denn schon seit Mitte der Achtzigerjahre liegen die Werte fast durchweg über der linearen Trendlinie, anstatt sich zufällig darum herum zu verteilen. Nimmt man den Temperaturdurchschnitt des vergangenen Jahrzehnts, liegt dieser sogar um 2,2 Grad über dem Niveau zum Ende des 19. Jahrhunderts. Das macht sich auch an der Anzahl heißer Tage mit Temperaturen über 30 Grad bemerkbar: Sie ist trotz Schwankungen von Jahr zu Jahr deutlich gestiegen. Und übrigens: Auch wenn es sich durch das bescheidene Wetter in letzter Zeit vielleicht anders anfühlen mag – der Juli 2023, der im globalen Schnitt der wärmste Monat seit Beginn der Wetteraufzeichnungen war, ist auch in Deutschland insgesamt überdurchschnittlich warm ausgefallen. Einen Grund zur Entwarnung gibt es also leider nicht.
2. Woher wissen wir denn jetzt, wie viel Klimawandel im Wetter steckt?
Leicht ist das nicht. Weil das Klima das durchschnittliche Wetter über einen langen Zeitraum ist, lässt sich der Klimawandel durch ein einzelnes Wetterphänomen weder belegen noch widerlegen. Aber wir kennen ja viele physikalische Grundlagen. Zum Beispiel ist klar, dass wärmere Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann. Das ist sozusagen der Treibstoff für Gewitter und auch Hurrikans – das Wasser muss schließlich auch wieder irgendwo hin. Obwohl es schon immer auch mal Starkregen gegeben hat, liegt es also auf der Hand, dass heftige Niederschläge [1][wie jüngst in Slowenien] zumindest potenziell mit dem Klimawandel zu tun haben können.
3. Geht das nicht genauer?
Doch, mittlerweile oft schon. Klimaforscher:innen haben sogenannte Attributionsstudien entwickelt. Die haben genau das Ziel, den Anteil des Klimawandels in einem spezifischen Wetterereignis aufzuspüren. Das geht vereinfacht gesagt so: Mit Klimamodellen ermitteln die Wissenschaftler:innen, wie wahrscheinlich es war, dass das fragliche Wetterereignis auftritt. Dann wird die Variable der Erderhitzung angepasst. In einer computersimulierten Welt ohne die menschlichen Treibhausgasemissionen wird die Wahrscheinlichkeit noch einmal getestet. Liegt sie nun niedriger, kann man die Differenz auf die Klimakrise zurückführen. Zu dem Starkregen, der in Deutschland im Juli 2021 zur Ahrtal-Katastrophe geführt hat, gibt es zum Beispiel so eine Studie von der Forschungsinitiative World Weather Attribution. Demnach war der krasse Niederschlag durch die Klimakrise [2][bis zu neunmal wahrscheinlicher]. Um so eine Studie durchzuführen, muss man möglichst alle noch so kleinen Details zu dem Wetterereignis kennen und braucht außerdem eine enorme Rechenleistung. Deshalb ist es noch gar nicht so lange möglich, solche Studien durchzuführen. Für manche Regionen, etwa in Afrika, sind teilweise auch jetzt noch zu wenig Messdaten verfügbar. Die Studien funktionieren zudem umso besser, je einfacher ein Wetterereignis gestrickt ist. Hurrikane zum Beispiel sind sehr schwer zu modellieren. Eine Hitzewelle hingegen tritt üblicherweise großflächig auf und hat nur eine relevante Größe, nämlich die Temperatur.
4. Es gab ja weltweit gerade viele Hitzewellen. Wie war das da?
In den europäischen Mittelmeerregionen, den USA und China war es im Juli gefährlich heiß – und ist es teils immer noch. Diese Woche wurde etwa in der Region um das spanische Valencia ein neuer Temperaturrekord gemessen: 47,8 Grad. Von einem „höllischen Donnerstag“ war in einer Lokalzeitung [3][die Rede]. Die Hitze im Juli war jedenfalls kein Zufall, hat World Weather Attribution ermittelt, der Klimawandel hatte einen deutlichen Anteil. In China hat er die Hitze demnach 50-mal wahrscheinlicher gemacht. In Südeuropa und Nordamerika wären die extremen Temperaturen ohne die menschlichen Treibhausgasemissionen sogar „praktisch unmöglich“ gewesen. Mittlerweile sind sie je nach Region alle 5 bis 15 Jahre zu erwarten – also eigentlich keine Seltenheit mehr. Und weil der Ausstoß von Treibhausgasen im globalen Schnitt weiter durch die Decke geht, wird sich das noch weiter verschärfen.
5. Aber sollte es nicht dieses Jahr allein schon durch den El Niño besonders warm sein?
Ja, alle paar Jahre verändern sich Meeresströmungen im Pazifik, was sich weltweit auf das Klima auswirkt – unter anderem dadurch, dass es im Schnitt wärmer ist. Das ist gemeint, wenn vom El Niño die Rede ist. Die US-Wetterbehörde NOAA hatte im Juni vermeldet, das Wetterphänomen habe begonnen. El Niño tritt auf natürliche Weise auf, hat also erst mal nichts mit dem Klimawandel zu tun. Er legt sich aber noch auf den menschengemachten Erhitzungstrend obendrauf. In den vergangenen Jahren hingegen war das meteorologische Gegenstück La Niña aktiv. Es hat also tendenziell abkühlend gewirkt. Dennoch war das vergangene Jahr eines der wärmsten, die je gemessen wurden. Laut der Weltwetterorganisation WMO dürfte 2022 das fünft- oder sechstwärmste gewesen sein. Weil die Unterschiede zwischen einzelnen Jahren oft so gering sind, kann es schwierig sein, eine genaue Rangordnung festzulegen. Insgesamt ist es auf der Erde schon etwa 1,2 Grad wärmer als zu Beginn der Industrialisierung.
11 Aug 2023
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