taz.de -- Bildungskrise in Deutschland: Zeitenwende auch für Bildung
Das Bündnis „Schule muss anders“ fordert mehr Anstrengungen bei der Bildungsgerechtigkeit – und ein 100-Milliarden-Sondervermögen.
Berlin taz | Am Rande [1][des Treffens von Bund und Ländern] hat das Bündnis „Schule muss anders“ mehr Anstrengungen bei der Bildungsgerechtigkeit angemahnt. Vor dem Kanzleramt demonstrierten am Donnerstagvormittag mehr als hundert Schüler:innen, Lehrkräfte, Erzieher:innen und Elternvertreter:innen.
„Wir wollen alle Betroffenen zusammenbringen, um gemeinsam für eine bessere, gerechtere und inklusivere Bildung einzustehen“, sagte Mitinitiator Philipp Dehne. Das [2][Ausmaß der Bildungskrise] mache es notwendig, dass die „politischen Entscheidungsträger“ Bildung endlich mit Priorität behandelten. Die Demo vor dem Kanzleramt bezeichnete Dehne als Auftakt für einen bundesweiten Bildungsprotest.
Im Kern stellt das Bündnis vier Forderungen auf. Erstens ein Sondervermögen für Bildung über 100 Milliarden Euro und eine Anhebung der Bildungsausgaben von derzeit 7 auf 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zweitens eine bundesweite Ausbildungsoffensive und mehr Praxisbezug im Lehramtsstudium.
Drittens eine Neuorientierung von Lehrplänen hin zu einer Bildung für nachhaltige Entwicklung. Und viertens einen Bildungsgipfel mit Kanzler Scholz, bei dem Lehrkräfte und Schüler:innen auf Augenhöhe über die Lösungen für die Bildungskrise sprechen können.
Personalkrise ist Gerechtigkeitskrise
„Auch die Bildung braucht eine Zeitenwende“, fasste Sonya Mayoufi vom Berliner Kitabündnis die Forderungen zusammen. Als Pädagogische Geschäftsleiterin des landeseigenen Trägers Kindertagesstätten Berlin Süd-West beobachtet Mayoufi tagtäglich, wie sehr die Personalkrise die Arbeit von Erzieher:innen und anderen Kitakräften erschwert – und damit die Aussicht auf mehr Bildungsgerechtigkeit verringert.
Denn fehlendes Personal schade am Ende vor allem den Kindern aus sozial benachteiligten Familien, so Mayoufi. Sie forderte deshalb Bund und Länder auf, die Rahmenbedingungen an Kitas und Schulen zu verbessern: „Wenn Sie bessere Arbeitsbedingungen schaffen, kommen die Fachkräfte von allein“.
Dorothee Berres von den Teachers for Future ergänzte, dass sich auch bei den Inhalten etwas ändern müsse. Wenn Kinder und Jugendliche auf die Zukunft vorbereitet werden sollen, müssten die Schulen auch stärker die Bildung für nachhaltige Entwicklung berücksichtigen. Ein UN-Ziel, zu dem sich Deutschland zuletzt 2021 bekannt habe. „Aber alle tollen Ziele scheitern an den veralteten Strukturen“, so Berres. Auch [3][angesichts der eklatanten Leistungsrückgänge bei Grundschüler:innen] fordert die Lehrerin die Politik auf: „Sie müssen reagieren“.
Auch ein Vertreter der Bildungsgewerkschaft GEW sowie mehrere Schüler:innen schilderten ihre Eindrücke eines starren und unterversorgten Bildungssystems – inklusive massiven Unterrichtsausfalls und maroden Schulgebäuden. Sie alle forderten mehr Geld für Bildung.
Ihre Forderungen hat das Bündnis „Schule muss anders“ am Donnerstag der Politik übergeben. Die Ministerpräsidenten von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, Stephan Weil (SPD) und Hendrik Wüst (CDU), nahmen den Appell im Namen der Bundesländer entgegen. Insgesamt haben den Aufruf mehr als 70 Organisationen, Gewerkschaften und Initiativen unterschrieben.
15 Jun 2023
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Mehr Digitalisierung ist keine Lösung in der Bildungskatastrophe. Was es braucht, ist mehr Raum für Mitgestaltung und musische Fächer.
Die Linke stellte am Montag ein Eckpunktepapier für eine Reform des Bildungssystems vor. Im Mittelpunkt: keine Noten und mehr individuelle Förderung.
An den Berliner Schulen werden nach den Sommerferien rund 1.500 Lehrer*innen fehlen. Vor allem bestimmte Bezirke haben mit dem Mangel zu kämpfen.
Die Iglu-Studie zeigt: Chancengerechtigkeit besteht nur auf dem Papier. Auch Lehrer:innen sollten sich an die eigene Nase fassen.
Eine Studie zeigt: Viertklässler*innen in Deutschland können immer schlechter lesen. Auch die Leistungsunterschiede nehmen zu. Was tun?
Der Kompromiss beim Startchancen-Programm ist sozial ungerecht. Die neue KMK-Präsidentin aus Berlin könnte das ändern.