taz.de -- Olympiaproteste in Paris: Citius, altius, fort damit!

Gegen die Sommerspiele 2024 in Paris gab es von Anfang an Widerstand. Nun wird auch der Streit um die französische Rentenreform sportpolitisch.
Bild: Olympische Ringe vor dem Pariser Eiffelturm

Noch sind es 462 Tage bis zu den Olympischen Sommerspielen in Paris. Die Arbeiter am Fließband des sozialen Netzes „The Olympic Games“ dachten wohl, es wäre eine gute Idee, wenn sie auf dem Twitter-Kanal folgendes fragten: „Auf welchen Athleten bei @Paris2024 freut ihr euch am meisten?“ Der Kanal hat 15,8 Millionen Follower, doch die Antworten fielen nicht so aus, wie sich das die Promotoren Olympias erwartet hatten, denn der Tweet wurde förmlich von Trollen gekapert, wobei das Wörtchen Troll etwas despektierlich daherkommt.

Man könnte auch sagen: Die Leute in Paris, ja in ganz Frankreich konnten mit der Frage nichts anfangen, weil sie grade anderes im Sinn haben als Unterhaltung und Sport. In Frankreich revoltiert das Volk gegen eine als ungerecht empfundene Rentenreform. Es gärt und brodelt. Und manchmal brennt es auch in den Straßen.

Weil Bilder die stärkste Botschaft vermitteln, wurde zuerst ein Vermummter gepostet, der eine Tränengaskartusche mit einem Tennisschläger mutmaßlich in die Reihen der Polizei zurückschießt. Dann surfte ein nackter Mann über eine Menschenmenge, auch dies ein Akt der Insubordination, der die heile Welt der Ringe-Bewegung konterkarieren soll. In Plakat-Adaptionen der Paris-Spiele springen Hürdenläufer einmal über einen großen Müllhaufen, und ein andermal ist eine apokalyptische Szene mit brennenden Barrikaden zu sehen. Untermalt wird das mit dem Hashtag PasDeRetraitPasDeJO: kein Rückzug, [1][keine Olympischen Spiele].

Beliebt als Antwort auf den Tweet ist auch ein Video, das den ehemaligen Boxer Christophe Dettinger zeigt, wie er vor einigen Jahren Polizisten in voller Montur mit bloßen Fäusten bekämpfte. Dettinger wurde zu einem kleinen Helden der Gelbwesten-Bewegung. Angeklagt und verurteilt wurde der ehemalige französische Meister trotzdem. Kurzum: Der zivile Ungehorsam steht einem naiven Eventismus entgegen. Die im Grunde treudoofe Frage der Olympiafuzzis wird nach allen Regeln der Trollkunst auseinandergenommen.

Die Basis hat offensichtlich die Lust an den Olympischen Spielen verloren. Das wurde von der Obrigkeit feinsinnig registriert, von [2][Organisatoren, die Angst haben] dürften vor einer Politisierung der Spiele. Im Sportministerium sprach man daher auch von einem „schwachen Signal“, das aktuell durch die Netze wabere. Vorsichtshalber erinnerte die französische Sportministerin Amélie Oudéa-Castéra, eine ehemalige Tennisspielerin, daran, dass es die Spiele der Franzosen und der Sportler seien, „auf keinen Fall die Spiele des Staates oder der Regierung“.

Die Gewerkschaften Confédération Générale du Travail (CGT) oder Fédération Syndicale Unitaire (FSU) hätten freilich nichts dagegen, wenn sich der Protest gegen die Rentenreform mit einem [3][Widerstand gegen die Olympiaschen Spiele] amalgamiert. So bekämen die Demos womöglich neuen Zulauf und eine neue Stoßrichtung. Anne Hidalgo, Bürgermeisterin von Paris, möchte denn auch nicht, dass die Spiele „als Geisel“ genommen werden. Die Pariser sollten mal schön runterkommen, als Nation zusammenstehen und das Sportfest als Sportfest begreifen.

Es ist aber auch ein Kreuz mit dem Pöbel: Warum kann er sich nicht einfach freuen auf Fechter, [4][Breakdancer] oder Leichtathletinnen? Ihm wird die Rente gekürzt, er kämpft gegen Inflation? Oh mon Dieu, labe er sich am Wettstreit der Jugend der Welt. Et arrêtez maintenant!

21 Apr 2023

LINKS

[1] /Zustandsbericht-ueber-NOlympic-Bewegung/!5744920
[2] /Olympische-Geschaefte/!5643429
[3] /Olympia-Proteste-in-Paris/!5754048
[4] /China-Taiwan-Konflikt-beim-Breakdance/!5904936

AUTOREN

Markus Völker

TAGS

Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Kolumne Olympyada-yada-yada
Schwerpunkt Frankreich
Rente
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Protest
Dokumentarfilm
Fifa

ARTIKEL ZUM THEMA

Olympische Geografie: Als Böhmen noch bei Olympia war

Hedwig Rosenbaum hat 1900 bei den Spielen in Paris zwei Mal Bronze im Tennis gewonnen. Das Länderkürzel, unter dem sie antrat, ist längst Geschichte.

Vorstoß für Olympia 2036 in Berlin: Moralgold für Deutschland

Innenministerin Nancy Faeser will die Olympischen Spiele in die Hauptstadt der Superdemokratie Deutschland holen. Das kann nicht gutgehen.

Rückblick aufs Sportjahr 2022: Die prächtigsten Proteste

Ein Papier im Eiskanal, Klettern ohne Kopftuch oder Chroeos im Stadion. Die Leibesübungen-Redaktion der taz schaut zurück auf ein spezielles Jahr.

Rückblick aufs Sportjahr 2022: Von Bernard bis Basketball

Cooles und toll Unspektakuläres, Historisches und Visionäres: Die Leibesübungen-Redaktion der taz stellt gute Bücher und Filme aus 2022 vor.

Rückblick aufs Sportjahr 2022: Krass gut und krass daneben

Von Lionel Messi, Urs Fischer bis Boris Becker: Die Leibesübungen-Redaktion der taz schaut zurück auf ein spezielles Sportjahr 2022.